10-Punkte-Plan für einen kraftvollen Neustart nach der Krise
Der Corona-bedingte Lockdown hat den Einzelhandel so hart getroffen wie kaum eine andere Branche. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens mit der weitgehenden, monatelangen Schließung der Geschäfte hat viele Handelsunternehmen völlig unverschuldet in eine existenzbedrohende Lage gebracht.
Bis zu 120.000 Einzelhandelsgeschäfte könnten nach HDE-Schätzungen in Folge der Krise vom Markt verschwinden. Dies hätte weitreichende Folgen – nicht nur für die Einzelhändlerinnen und Einzelhändler mit ihren drei Millionen Beschäftigten, sondern auch für das Gesicht unserer Innenstädte. Ihnen drohen Leerstand und Verödung.
Dass der von den staatlich verordneten Schließungen betroffene Handel rasch wieder auf die Beine kommt, ist damit auch von gesamtgesellschaftlichem Interesse: Unsere Innenstädte sind nicht nur ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, sondern auch zentrale Orte der Begegnung und des sozialen Miteinanders – und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Bei der Bundestagswahl geht es darum, die Weichen für einen kraftvollen Neustart nach der Krise zu stellen. Für den Handel als Herz unserer Innenstädte und Versorger im ländlichen Raum kommt es dabei vor allem auf die folgenden zehn konkreten Initiativen und Einzelmaßnahmen an, die der neu zu wählende Deutsche Bundestag und die künftige Bundesregierung mit höchster Priorität angehen müssen.
10 Punkte Plan
In Folge der monatelangen Schließung weiter Teile des Einzelhandels haben die Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Einkaufsverhalten angepasst. Der Innenstadthandel hat während des Lockdowns in dramatischem Umfang Marktanteile zugunsten des Online-Handels verloren. Wenngleich auch Teile des stationären Handels über digitale Vertriebskanäle vom Onlineboom profitieren, stellen die strukturellen Umsatzverschiebungen den Innenstadthandel doch vor eine existenzielle Herausforderung. Ob die Kundinnen und Kunden in der Post-Lockdown-Zeit den Weg zurück in die Innenstädte finden, ist fraglich.
Als Impuls für den Neustart nach der Krise und zur gezielten Unterstützung der durch den Lockdown unmittelbar betroffenen Einzelhandelsunternehmen bedarf es daher eines finanziellen Anreizes zum Besuch der Innenstädte. Konkret schlagen wir dazu die Ausgabe eines staatlich finanzierten City-Bonus‘ an alle Bürgerinnen und Bürger vor. Der Gutschein in Höhe von 200 Euro soll nur in bestimmten stationären Betrieben, die von den Schließungen unmittelbar betroffen waren, einlösbar sein.
Mit dem City-Bonus ist eine gezielte Unterstützung betroffener Branchen bei gleichzeitiger finanzieller Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger möglich.
Der Einzelhandel entwickelt sich immer stärker zur Technologiebranche. Rund 150.000 Unternehmen setzen heute bereits auf den Onlineverkauf ihrer Waren, häufig zusätzlich zum stationären Geschäft. Die Digitalisierung ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, insbesondere für den Mittelstand. Dafür erforderliche Investitionen sind in Krisenzeiten aber kaum möglich.
Rund 60 Prozent der Handelsunternehmen können derzeit aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der Corona Maßnahmen nicht in ihre Zukunft investieren. 40 Prozent des Mittelstands im Einzelhandel haben für 2021 keine Investitionen geplant. Gleichzeitig halten aber mehr als 70 Prozent aller Händler weitere Investitionen in die Zukunftsfähigkeit für wichtig.
Deshalb braucht es für diese durch die Corona Krise unverschuldet in Not geratenen Handelsunternehmen einen Digitalisierungsfonds in Höhe von 100 Millionen Euro. Der Einzelhandel braucht eine staatliche Modernisierungshilfe für Unternehmen, die krisenbedingt ohne Geld für dringend notwendige Investitionen dastehen.
Der Einkauf im Einzelhandel ist nach wie vor der wichtigste Grund, um Innenstädte, Stadtteil sowie Ortszentren aufzusuchen. Durch die fortschreitende Digitalisierung und die pandemiebedingten Schließungen vieler Handelsbetriebe geraten die Handelsstandorte in der Innenstadt sowie in Stadtteil- und Ortszentren in den hochverdichteten Städten ebenso wie im ländlichen Raum unter erheblichen Druck.
Es bedarf daher eines Sonderprogramms Innenstadtstabilisierung mit jährlich mindestens 500 Millionen Euro für eine Laufzeit von fünf Jahren. Das Programm soll gemeinschaftliche innovative Konzepte, städtebauliche Aufwertungen sowie kleinteilige Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung und Modernisierung bestehender und neuer Ladengeschäfte, Gastronomie-, Kultur-, Bildungs-, Freizeit- und Sozialeinrichtungen fördern. Bund, Länder und Kommunen müssen hier an einem Strang ziehen.
Die Innenstädte, Stadtteil- sowie Ortszentren verdienen nach der Krise eine faire Chance. Zusätzliche Sonntagsöffnungen können jetzt einen wichtigen Beitrag leisten. Kurzfristig sollte es daher möglich sein, die restlichen Sonntage im diesem Jahr zu öffnen. So könnten die durch die Ladenschließungen entgangenen Umsätze zumindest teilweise kompensiert werden. Wichtig ist zudem, dass allgemein bei Sonntagsöffnungen rechtliche Verlässlichkeit einkehrt. Bisher werden sogar genehmigte Sonntagsöffnungen immer wieder kurzfristig von Gerichten gekippt. Das kostet viel Geld, etwa weil die Händlerinnen und Händler vorab Werbung schalten, und schadet zudem dem Image der Branche.
Der HDE fordert die Politik auf, die nach der Finanzkrise erfolgreiche Konsolidierungsstrategie zu wiederholen und auf Steuererhöhungen zu verzichten. Alle Haushalte und Unternehmen profitieren von den staatlichen Krisenbekämpfungsmaßnahmen – die einen als Zahlungsempfänger direkt, die anderen indirekt, weil die Rezession abgeschwächt wird, die Geschäfte besser laufen und Arbeitslosigkeit vermieden wird. Deshalb sollten auch alle in dem Maße zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beitragen, indem sie nach der Krise Einkommen erzielen, Gewinne machen oder Waren und Dienstleistungen nachfragen. Sonderlasten wären nicht hilfreich. Sie behindern zum einen die wirtschaftliche Entwicklung und treffen zum anderen oftmals gar nicht die gemeinte Zielgruppe. So kann z.B. eine Digitalsteuer vom Marktplatzbetreiber durch Preiserhöhungen leicht auf Einzelhändler, die sich über den Marktplatz eine digitale Präsenz aufbauen wollen, übergewälzt werden.
Globalisierung und Digitalisierung dürfen Produktsicherheit und Verbraucherschutz nicht in Frage stellen. Zoll und Marktüberwachung müssen in Zeiten der globalen Plattformökonomie gestärkt und digital auf Augenhöhe gebracht werden. Der Zoll muss ertüchtigt werden, um Direktimporte per Paketversand von Nicht-EU-Händlern nach Deutschland besser und umfänglicher kontrollieren zu können. Dies kann durch maschinenauslesbare Codes oder RFID-Chips geschehen, die eine automatische Identifizierung des Absenders ermöglichen. Die Marktüberwachung des globalen Online-Handels muss auf Bundesebene konzentriert werden. Eine Kennzeichnung von Nicht-EU-Händlern auf in der EU ansässigen Plattformen ist zu prüfen, da bei 60 Prozent aller Online-Bestellungen bei ausländischen Anbietern, der Verbraucher dort unwissentlich bestellt.
Deutschland muss die Spirale der sich gegenseitig verstärkenden Regulierungsintensität des nationalen Gesetzgebers und der EU-Gesetzgebung durchbrechen. Bei bestehenden europäischen Gesetzgebungsvorhaben sollte der nationale Gesetzgeber darauf verzichten, die auf der EU-Agenda befindlichen Themen vorab einer nationalen gesetzlichen Regelung zuzuführen. EU-Regeln sind eins-zu-eins umzusetzen, auch wenn es sich um Mindestharmonisierungen handelt. Nur so können hinreichende Handlungsspielräume für Unternehmen und Verbraucher gewährleistet werden.
Es besteht bereits ein hinreichendes und fortlaufend verschärftes Instrumentarium zur Gewährleistung eines freien und fairen Wettbewerbs. Zivil-, Lauterkeits- und Zivilrecht schützen auch schwächere Marktteilnehmer. Da jede weitere Regulierung zwangsläufig die Vertragsfreiheit sowie unternehmerische Handlungsmöglichkeiten beschränkt und somit einen intensiven, an Effizienzgesichtspunkten orientierten Wettbewerb behindert, sollte auf neue Vorschriften für die Lieferbeziehungen im B2B-Bereich verzichtet werden.
Im Laufe der Jahre wurden mit dem Ziel, das Verbraucherschutzniveau zu erhöhen, immer neue Regulierungen geschaffen. Das hohe Regulierungsniveau belastet die Unternehmen, ohne immer einen praktischen Beitrag zur Optimierung des Verbraucherschutzes zu leisten. Dies gilt bspw. für die unzähligen Informationspflichten der Unternehmen gegenüber den Verbrauchern, die bei diesen zu einem „Information Overload“ führen und die Konsumenten eher verwirren bzw. belästigen, ohne in der Praxis die Basis für geschäftliche Entscheidungen der Verbraucher zu verbessern. Praktische Beispiele sind die Informationen über die Cookie-Nutzung im Internet oder die vorvertraglichen Informationspflichten über das Widerrufsrecht im Online Handel. Diese Fehlentwicklung erfordert eine Deregulierungsoffensive des Gesetzgebers. Da das Verbraucherschutzrecht europarechtlich geprägt ist, muss sich Deutschland vor allem auf EU-Ebene im Ministerrat für eine grundlegende Evaluierung des Verbraucherschutzrechts mit dem Ziel, den bestehenden Regelungsrahmen zu entschlacken, einsetzen.
Es braucht den politischen Mut, eine ExitStrategie für die EEG-Umlage zu entwickeln und diese auf Sicht abzuschaffen. Die Finanzierung des Ausbaus Erneuerbarer Energien sollte dann direkt aus dem nationalen und europäischen CO2-Preis gezahlt werden. Denn die EEG-Umlage bittet Privatverbraucher und Handelsunternehmen überproportional zur Kasse. Gerade in der Zeit nach der Krise gilt es keine Seite in unfairer Weise zu überfordern. Die Finanzierung über einen CO2-Preis stellt sicher, dass der, der viel CO2 erzeugt, auch entsprechend bezahlen muss. Die CO2-Vermeidung würde damit in den Mittelpunkt des Handelns rücken. Das ist im Gegensatz zur EEG-Umlage fair und berechenbar.
Europa muss seiner Verantwortung und seinem globalen Einfluss gerecht werden. Um die systembedingten Herausforderungen in Bezug auf die Menschenrechte wirksam anzugehen und um eine Wirkung in den Produktionsländern zu erzielen, bedarf es langfristig eines einheitlichen internationalen Regelwerks, das allen Akteuren in den globalen Lieferketten zugutekommt. Eine europäische Regulierung zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht kann ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg hin zu einer solchen internationalen Lösung sein. Dabei sollte sich eine solche Regulierung auf die menschenrechtlichen Aspekte fokussieren, so wie es die UN-Leitprinzipien formulieren.
Um ihr Ziel nicht zu verfehlen, müssen unternehmerische Sorgfaltspflichten umsetzbar sein und den Unternehmen Rechtssicherheit geben. Eine harmonisierte europäische Lösung ist notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt zu verhindern.
Die Sozialpartner brauchen mehr Handlungsspielraum, um im vollen Umfang gestalterisch tätig werden zu können. Dann können die Sozialpartner wieder praxisnahe und attraktive Tarifverträge für ihre Branche aushandeln und so auch die Tarifbindung in der Nach-Lockdown-Zeit wieder steigern.
Dies setzt aber zum einen voraus, dass nicht immer mehr traditionelle Gestaltungsfelder der Tarifpolitik durch den Gesetzgeber abschließend geregelt werden. Zum anderen muss den Tarifvertragsparteien durch zusätzliche Öffnungsklauseln die Möglichkeit eingeräumt werden, in Tarifverträgen vom gesetzlichen Status quo abzuweichen. Erforderlich ist auch die Schaffung einer „modularen Tarifbindung“, bei der bislang nicht tarifgebundene Arbeitgeber auch nur einzelne Module aus einem gesamten Tarifwerk übernehmen könnten.
Eine Erleichterung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlichkeit (AVE) von Tarifverträgen lehnt der HDE strikt ab. Die AVE stellt einen massiven Eingriff in die Tarifautonomie und eine Einschränkung der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG dar, die eine Ausnahme bleiben muss und einer besonderen Rechtfertigung bedarf.
Die Einzelhandelsunternehmen sind auf beruflich qualifizierte Fach- und Führungskräfte angewiesen, um die Wettbewerbsfähigkeit auch zukünftig zu sichern. Trotz der Corona-Pandemie haben deshalb viele Einzelhändler ihr Stellenangebot für Ausbildungsplätze gehalten oder sogar ausgebaut. Ihr großes und vielfältiges Ausbildungsangebot müssen die Handelsunternehmen in Zukunft auch mit ausreichend Bewerbern besetzen können. Deshalb muss die Politik die Chancen der beruflichen Bildung endlich deutlicher hervorheben. Notwendig sind auch Investitionen in die Qualität der Bildung und die Berufsorientierung über alle Schulformen hinweg. Digitale Berufsorientierungsangebote sind auf- und auszubauen. Durch die zunehmende Digitalisierung der Betriebe und den Ausbau von Online-Angeboten muss die Politik auch die berufliche Weiterbildung als Aspekt des lebenslangen Lernens stärker bewerben und finanziell unterstützen. Sie muss sich hierbei immer an dem Bedarf der Unternehmen orientieren. Für den Online-Handel setzen die neu geschaffene Ausbildung Kaufmann/ Kauffrau im E-Commerce sowie die ebenfalls neu geschaffene Fortbildung Fachwirt/ Fachwirtin im E-Commerce bereits Maßstäbe.
Präventionsstrategie zur Verhinderung eines erneuten Lockdowns
Auch wenn die Corona-Pandemie mit dem Rückgang der Infektionszahlen zunehmend aus dem Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung gerät, ist eine vierte Infektionswelle trotz hoher Impfquoten aufgrund neuer aggressiverer Mutanten nicht auszuschließen. Daher müssen Bund und Länder nun Vorsorge treffen und in enger Abstimmung mit der Wirtschaft eine Präventionsstrategie gegen einen erneuten Lockdown entwickeln, in die die Lehren und Erkenntnisse aus dem bisherigen Pandemiemanagement einfließen. Ein erneuter monatelanger Lockdown ohne Perspektive und Planungssicherheit muss zukünftig unbedingt verhindert werden. Die Unternehmen können mit ihrer praktischen Expertise einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Krisenfallkonzepte leisten.