So sieht es aus
Die Lebendigkeit der Innenstädte ist akut bedroht
Die Innenstädte leiden bereits seit einigen Jahren unter Frequenzrückgängen und der Umsatzverschiebung in den Online-Handel. Die Corona-Krise sowie die anhaltende Konsumzurückhaltung hat die Lage noch einmal wesentlich verschärft. Infolgedessen werden weiterhin Handelsunternehmen leider aufgeben müssen, so dass bisher keine Trendwende abzusehen ist. Diese damit einhergehende Verschlechterung der Versorgungsdichte und -qualität für die Bürger*innen vor Ort sowie das entsprechend unattraktivere Bild unserer Innenstädte fordert zum sofortigen Handeln auf.
Die Herausforderung
City als emotionales Zentrum sichern
Innenstädte sind nicht nur zentrale Versorgungspunkte einer Stadt – Innenstädte sind auch die emotionalen Zentren einer Stadt. 78% der Bürger*innen gaben an, dass der Verlust von alteingesessenen Geschäften, auch ein Verlust an Heimat ist. Die Bürger*innen haben daher ein sensibles Gespür dafür, wie sich der auch emotionale Kern ihrer Stadt verändert und sehen eine direkte Abhängigkeit zwischen der Handels- und Stadtentwicklung. Bisher kommen über 70% der Besucher*innen, weil sie die Angebote der innerstädtischen Geschäfte schätzen. Daher ist Einkauf die Leitfunktion der Innenstädte und das wesentliche Rückgrat der viel zitierten Urbanität. Keine andere Innenstadtfunktion vermag es, tagtäglich tausende Menschen in die Innenstädte zu bewegen. Viele weitere Bereiche der Innenstädte profitieren von dieser Sogwirkung und sind direkt oder indirekt davon abhängig. Das „System Innenstadt“ leidet daher als Ganzes, wenn attraktive Geschäfte durch Leerstände ersetzt werden.
Zeit zum Handeln
Leerstände abbauen durch innerstädtische Gründerzentren
Aufgrund der anstehenden Probleme durch zunehmende Leerstände ist es für eine gute Stadtplanung unerlässlich, die Flächenpotenziale im Sinne einer raschen Neuvermietung laufend systematisch zu erfassen und mit Hilfe einer GIS-basierten Software zu visualisieren. Hierbei ist sofort zu bewerten, ob eine ehemalige Handelsfläche sich für eine nachfolgende Handelsnutzung eignet. Darüber hinaus geht es um einen gesunden Branchenmix. Die Städte müssen aktiver gemanagt werden. Ansonsten ist die Zukunft der Innenstädte in Gefahr.
Dabei können Leerstände auch Chancen für neue Geschäfte und eine Erhöhung des Angebotsmix und der Attraktivität sein. Hierzu muss die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte der kommunalen Gründerzentren für die Innenstädte adaptiert werden. Sprich: Neue Geschäftsgründer werden aktiv gesucht, über z.B. drei Jahre geschult, die Wareneinrichtung mitfinanziert, der erste Wareneinkauf anteilig finanziert und die Mieten degressiv unterstützt. Somit können gleichzeitig Existenzgründer im Handel gefördert, Arbeitsplätze geschaffen, der Branchenmix und die Attraktivität erhöht sowie bestehende Leerstände abgebaut werden.
Hierzu sollten die Kommunen regelmäßige Austauschformate mit dem Handel und den Immobilieneigentümern ins Leben rufen. Nur in dieser Kooperation besteht die Chance, die Interessen der Innenstadtakteure im Sinne einer zukunftsfähigen Innenstadtentwicklung auszugleichen und den Sachverstand aus den unterschiedlichen Bereichen zu bündeln. Zudem können sich daraus auch neue Mietmodelle in Bezug auf lokal angepasste Gewerbemieten ergeben, die einen langfristigen Erfolg für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung versprechen.
In begründeten Einzelfällen müssten außerdem die bestehenden Möglichkeiten des Vorkaufsrechts in den förmlich festgelegten Sanierungsgebieten ausgeübt werden können, um den Branchenmix abzurunden. Dabei wird sich die Situation in den deutschen Innenstädten nicht überall in gleicher Art und Weise verändern. Dazu sind die Lage im Raum, die funktionale Ausstattung, die städtebauliche Attraktivität, die Kaufkraft oder auch die Konkurrenz mit den Nachbarorten zu unterschiedlich. Allen Städten gemeinsam sind jedoch die dynamischen Veränderungen der Gegenwart durch Umsatzverschiebungen in den Online-Handel sowie die Geschäftsschließungen infolge der Corona- Krise und Konsumzurückhaltung. Selbst Großstädte und Metropolen machen sich zunehmend Gedanken über den attraktiven Fortbestand ihrer Stadtteilzentren, die nicht die Ausstrahlungskraft der zentralen Fußgängerzone besitzen. Die Zeit der stillen Beobachtung ist vorbei.
Es ist Zeit zum Handeln – jetzt.
Michael Reink
Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik
E-Mail: reink@hde.de