So sieht es aus
Die Mehrwertsteuer ist kompliziert genug
Die Mehrwertsteuer ist kompliziert. In Deutschland gibt es zwei Mehrwertsteuersätze: Den Normalsatz von 19 Prozent und den ermäßigten Satz von 7 Prozent. Zusätzlich wird noch auf Photovoltaikanlagen der Nullsatz angewendet. Dadurch gibt es immer wieder Streit, was für eine Ware überhaupt vorliegt und zu welchem Mehrwertsteuersatz sie besteuert werden soll. Am bekanntesten sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesfinanzhofes zu Holzhackschnitzeln: Sie erfüllen die Funktion von Brennholz und dürfen deshalb wie Brennholz zum ermäßigten Satz von 7 Prozent Mehrwertsteuer verkauft werden. Geradezu kurios war das Verfahren zum Mehrwertsteuersatz auf getrocknete Schweineohren. Hier musste der Bundesfinanzhof entscheiden, ob Schweineohren genießbare Schlachtnebenerzeugnisse, zubereitetes Futter oder andere Waren tierischen Ursprungs sind. Denn im letzten Fall wäre der Normalsatz von 19 Prozent anzuwenden, aber auch nur dann.
Durch solche Abgrenzungsfragen müssen insbesondere Lebensmitteleinzelhändler oft genau prüfen, wie ein Produkt beschaffen ist. So z. B. auch bei Milchmixgetränken wie Cappucino: Nur wenn sie mehr als 75 Prozent Milch enthalten, darf der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent angewendet werden. Auch die Festlegung, welche Teile zum Betrieb einer Photovoltaikanlage erforderlich sind war sehr aufwändig und kompliziert und musste durch mehrere Erlasse der Finanzbehörden genau bestimmt werden. Doch davon hängt es ab, was mit dem Nullsatz besteuert werden darf.
Die Herausforderung
Keine weiteren Differenzierungen einführen
Die politischen Diskussionen um weitere Differenzierungen ist verfehlt. Die Mehrwertsteuer ist für Lenkungszwecke nicht geeignet. Mit Hilfe unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze lassen sich gesundheits-, umwelt- oder sozialpolitische Ziele nicht oder nur schlecht erreichen. Stattdessen sollte die Mehrwertsteuer bei den Steuersätzen so wenig Differenzierungen beinhalten wie möglich, um Streitfälle zu vermeiden.
Zeit zum Handeln
Mehrwertsteuersystem logisch und einheitlich gestalten
Die Mehrwertsteuer darf nicht noch komplizierter werden. Deshalb muss bei der Forderung nach Reformen die Funktionsweise der Steuer beachtet werden. Z.B. wird gefordert, dass zur Reduzierung des CO2 Ausstoßes der Landwirtschaft die Mehrwertsteuer auf Fleisch erhöht werden soll. Das ist nicht sinnvoll. Denn die deutsche Fleischproduktion wird rund zur Hälfte exportiert und Exporte sind immer mehrwertsteuerfrei. Auf diesen Teil der Produktion und des damit verbundenen CO2 Ausstoßes hätte die Änderung des Steuersatzes gar keine Auswirkung. Das gleiche gilt für Fleisch, das im Restaurant verzehrt wird. Hier liegt eine Restaurationsdienstleistung vor, die immer mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belastet wird, egal ob ein Steak oder ein vegetarisches Gericht serviert wird. Auch bei Fertiggerichten wie einer Tiefkühlpizza mit Schinken und Salami ist die Pizza das bestimmende Element und der Mehrwertsteuersatz auf die gesamte Pizza würde weiter 7 Prozent betragen, auch wenn der Steuersatz auf Fleisch erhöht würde. In den meisten Fällen wird sich daher bei einer Mehrwertsteuererhöhung auf Fleisch weder dessen Produktion, noch dessen Verbrauch ändern.
Im Gegenzug wird gefordert, den Mehrwertsteuersatz auf Grundnahrungsmittel auf null zu senken. Die Klärung, was zu den Grundnahrungsmitteln gehört, dürfte als erstes wieder zu vielen Verfahren bei den Finanzgerichten führen. Außerdem kommt diese Steuersenkung allen Verbrauchern zugute, auch denen, die sie aufgrund ihres Einkommens nicht bräuchten. Daher wäre die Umsetzung dieser Forderung fiskalisch sehr teuer. Auch das Europäische Parlament betont, dass ermäßigte Mehrwertsteuersätze häufig ein ineffizientes Instrument zur Verwirklichung sozialer oder ökologischer Ziele sind, da sie für den Staat mit beträchtlichen Kosten verbunden sind. Deshalb ist
die Mehrwertsteuer für Lenkungszwecke – Steuern mit Steuern – nicht geeignet. Sie sollte möglichst einheitlich ausgestaltet werden.
Ralph Brügelmann
Abteilungsleiter Steuern, Finanzen
E-Mail: bruegelmann@hde.de