So sieht es aus

Plattformökonomie: Wachstumsmotor mit Herausforderungen

Digitale Plattformen fördern Innovationen und eröffnen neue Marktchancen. Der rasante Aufstieg neuer E-Commerce-Plattformen hat die globale Handelslandschaft in den letzten Jahren nicht nur vorübergehend verändert, sondern eine langfristige Transformation angestoßen, die sich auch in Deutschland und Europa bemerkbar macht. Drittstaatenhändler bringen mit Social Commerce und Direct-to-Consumer-Vertriebswegen neue Handelspraktiken ein. Hierbei stechen vor allem die beiden Plattformen SHEIN und Temu mit Verbindungen nach China hervor. In Zahlen bedeutet das: 400.000 Pakete pro Tag von Shein und Temu nach Deutschland (siehe Drittstaatenstudie von ibi research und HDE). Die Bundesnetzagentur hat für das Jahr 2023 allerdings nur die Prüfung von rund 5.000 Warensendungen gemeldet. Von den geprüften Sendungen erhielten demnach 92 Prozent keine Freigabe.

Es ist unerlässlich, dass alle Marktteilnehmer, unabhängig von ihrem Ursprungsland, die gleichen hohen Standards der Europäischen Union einhalten. Dies betrifft insbesondere Produktsicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Anbieter aus Drittstaaten, insbesondere aus dem asiatischen Raum, diese Standards häufig nicht erfüllen. Ein Beispiel hierfür ist der Direktverkauf chinesischer Anbieter über Apps, Online- Shops und Social Media an Endkonsumenten im EU-Binnenmarkt. Laut Branchenexperten werden hierüber allein nach Deutschland über 100 Millionen Pakete pro Jahr versandt, Tendenz steigend.

Die Herausforderung

Regeln bestehen, werden aber oft umgangen

In den vergangenen Jahren sind die Pflichten für Einzelhändler mit Sitz in der EU kontinuierlich und in großem Umfang erhöht worden. An die Bereitstellung von Produkten in der EU werden mit dem Ziel der weiteren Erhöhung des Verbraucherschutzes sowie des Umwelt- und Ressourcenschutzes immer höhere Anforderungen gestellt. Gleichzeitig beobachten wir mit großer Sorge, dass der Binnenmarkt, u.a. über die genannten Plattformen,
mit Produkten überschwemmt wird, die diese Anforderungen zu einem großen Anteil nicht erfüllen und damit
den Verbraucherschutz unterlaufen. Es ist deshalb evident, dass es weniger an mehr Regelungen als an deren konsequenter Durchsetzung mangelt.

Zeit zum Handeln

Wettbewerb schützen, Regulierungen durchsetzen

Auf Ebene der Europäischen Union: Benennung eines verantwortlichen Wirtschaftsakteurs in der EU

Es bedarf einer gesetzlichen Verpflichtung zur Benennung eines in der EU niedergelassenen verantwortlichen Wirtschaftsakteurs mit klar definierten Anforderungen hinsichtlich seiner Eignung zur Erfüllung der Aufgaben. Zollunion priorisieren: Die Beschleunigung der Reform des EU-Zollkodex ist langfristig die entscheidende Stellschraube, um den wachsenden Herausforderungen des internationalen Handels wirksam begegnen zu können. Das für den vollständigen Abschluss der Arbeiten vorgesehene Jahr 2034 ist zu spät. Die Modernisierung der Zollvorschriften sind entscheidend, um die EU-Zollbehörden zu entlasten, die Effizienz der Zollkontrollen zu erhöhen, Produktsicherheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards in der EU einzuhalten und Manipulationen, wie etwa Unterdeklarationen, konsequenter zu verhindern.

Auf Bundesebene: 150 Euro Zollfreigrenze abschaffen

Angesichts der systematischen Unterdeklarierung von Waren aus Drittstaaten fordert der HDE die Abschaffung der Zollfreigrenze von 150 Euro. Diese Regelung trägt erheblich zu Gestaltung bei und beeinträchtigt faire Wettbewerbsbedingungen in der EU. Die Freigrenze wird systematisch ausgenutzt, um den Warenwert von Sendungen gezielt unter den Schwellenwert zu deklarieren und so Zollabgaben zu umgehen.

Auf Länderebene: Digitalisierung und Stärkung der Marktüberwachungsbehörden

Das Hauptproblem liegt nicht in fehlenden Vorschriften, sondern in deren unzureichender Umsetzung. Deshalb sind verstärkte Maßnahmen zur Digitalisierung und Stärkung des Zolls erforderlich. Die Marktüberwachungsbehörden benötigen mehr Personal und ganzheitliche sowie moderne digitale Systeme. Die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer spielen eine Schlüsselrolle bei der Sicherstellung von Produktsicherheit, Verbraucherschutz und fairen Wettbewerbsbedingungen. Deshalb ist es essenziell, dass die Bundesländer ihre Zuständigkeiten in diesem Bereich aktiv wahrnehmen und ihre Marktüberwachungsstrukturen nachhaltig stärken. Die Bundesländer haben hier die Verantwortung und die Möglichkeit, durch personelle und technische Aufstockung ihrer Marktüberwachungsbehörden die Einhaltung der geltenden Vorschriften sicherzustellen. Die Wahrnehmung dieser Kompetenzen ist nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung des Binnenmarktes, sondern auch ein klares Signal, dass die Interessen von Verbrauchern und Händlern in der Region konsequent geschützt werden.

Dara Kossok-Spieß
Referentin Netzpolitik und Digitalisierung
E-Mail: kossok-spiess@hde.de