So sieht es aus
DQR-Gesetzes gefährdet Berufsbildung und Tarifautonomie
Der seit 2013 bestehende Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) ist ein Übersetzungs- und Transparenzinstrument, mit dessen Hilfe alle Qualifikationen des deutschen Bildungssystems den acht Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR), der u. a. die Vergleichbarkeit von Abschlüssen in der EU fördern soll, zugeordnet werden können. Ziel des DQR ist es, alle schulischen, akademischen und beruflichen, aber auch auf anderen Wegen erworbene Qualifikationen abzubilden und so einen Rahmen für das lebenslange Lernen zu entwickeln. Dabei wird den Besonderheiten des deutschen Bildungssystems Rechnung getragen. Bei der Implementierung des DQR im Jahr 2013 wurde von allen Beteiligten – Bund, Länder, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Hochschulen – ganz bewusst auf eine gesetzliche Verankerung verzichtet. Die Entwicklung des DQR erfolgt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Kultusministerkonferenz (KMK) und eine dafür eingerichtete Bund-Länder- Koordinierungsstelle. An der Erarbeitung und Umsetzung des DQR sind zudem Einrichtungen der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung, Sozialpartner und Wirtschaftsorganisationen sowie Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis. Gemeinsam bilden sie den Arbeitskreis DQR. Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist seit langem bildungspolitisches Ziel in Deutschland und kann durch verschiedene Maßnahmen und Initiativen erreicht werden. Ein gesetzliche Verankerung des DQR ist kontraproduktiv und daher entschieden abzulehnen.
Die Herausforderung
Mehr Anerkennung für Berufliche Bildung erreichen
Um mehr gesellschaftliche Anerkennung für Berufliche Bildung und Karrierechancen mit einer Ausbildung zu erlangen, müssen beide Bildungsbereiche jungen Menschen gleichwertig vorgestellt werden, auch an den Gymnasien. Es sollte eine Investitions- und Innovationsoffensive für Berufsschulen gestartet werden, da diese als Partner der dualen Ausbildung ebenfalls attraktiv sein müssen. Zudem müssen gleiche Rahmenbedingungen geschaffen werden (z. B. ÖPNV-Ticket, Begabtenförderung) und die Berufsberatung bei der BA und den Jobcentern digital stattfinden, um junge Menschen besser zu erreichen.
Zeit zum Handeln
Ein Gesetz ist keine Lösung!
Der HDE lehnt die gesetzliche Verankerung des deutschen Qualifikationsrahmens strikt ab. Die Attraktivität der beruflichen Bildung wird durch eine gesetzliche Verankerung keinesfalls gestärkt und die benannten Herausforderungen nicht gelöst. Ein Gesetz hätte keinen Mehrwert und würde sogar falsche Anreize setzen. Insbesondere würde das Gesetz eine Anreizverstärkung für Hochschulzugangsberechtigte in Richtung Studium geben. Im Zuge eines DQR-Gesetz würde der immer größer werdenden Gruppe der Hochschulzugangsberechtigten aufgezeigt, dass man nach einer dreijährigen Ausbildung auf dem Level der Hochschulzugangsberechtigung „hängen bleiben“ würde, denn das Abitur und eine dreijährige Ausbildung stehen beide auf der gleichen DQRStufe 4. Auch im Hinblick auf Fortbildungen wirkt die Berufliche Bildung im DQR wenig attraktiv (Ausnahme: Abiturientenprogramme im Handel, bei denen man einen Abschluss als Fachwirt erlangt). Eine Fortbildung schließt sich erst nach einer meist dreijährigen Ausbildung an und dauert somit insgesamt länger als ein Bachelorabschluss, wobei man mit beiden Abschlüssen das DQR-Level 6 erreicht. Darüber hinaus droht durch ein DQR-Gesetz ein Eingriff in die Tarifautonomie. Arbeitnehmer werden bisher nach Komplexität und Verantwortungslevel ihrer Tätigkeit bezahlt und nicht nur nach ihrer formalen Qualifikation. Kein Tarifvertrag orientiert sich bislang am DQR. Ein Gesetz könnte zu einem Paradigmenwechsel führen: weg vom Tätigkeitsbezug, hin zur formalen Qualifikation. Dadurch könnte die Tarifautonomie weiteren Schaden nehmen sowie die Tarifbindung weiter an Attraktivität verlieren, da es zu unnötigen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit massenhaften Klagen wegen Umgruppierungen kommen könnte. Eine weitere negative Folge könnte sein, dass Fachkräfte verstärkt aus kleinen Unternehmen zu größeren, tarifgebundenen Unternehmen abwandern. Darüber hinaus stellte auch ein von BMBF beauftragtes Gutachten aus dem Jahr 2021 fest, dass ein DQR-Gesetz eine rein politische Entscheidung wäre, keine juristische Notwendigkeit.
Weder eine DQR-Geschäftsstelle noch der Rechtsschutz im Zuordnungsverfahren machten ein Gesetz notwendig. Verweise auf den DQR in Tarif- und Arbeitsverträgen sowie Zeugnisse ist auch ohne Gesetz möglich. Zudem wäre eine gesetzliche Verankerung aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund (Hochschulen) und Ländern (Berufsbildung) hochkomplex und bürokratisch. Außerdem funktioniert der derzeit geltende DQR gut und erfüllt seine Aufgabe als Transparenzinstrument. Er macht Qualifikationen der beruflichen und akademischen Bildung vergleichbar und ihre Gleichwertigkeit sichtbar. Er erfüllt damit die Zielsetzung, auf die sich Bund, Länder, Sozialpartner und Bildungsbereiche verständigt haben.
Steven Haarke
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik
E-Mail: haarke@hde.de