Tarifautonomie
Ursache für die rückläufige Tarifbindung über alle Branchen hinweg ist in Deutschland vor allem der verringerte Gestaltungsspielraum für Tarifvertragsparteien aufgrund einer weiter zunehmenden gesetzlichen Regulierung. Dies gilt vor allem für die rein politisch motivierte, sprunghafte Mindestlohnanhebung auf zwölf Euro im Jahr 2022, die gänzlich ohne Beteiligung der unabhängigen Mindestlohnkommission durchgesetzt wurde. Mit Blick auf die Tarifbindung war dies fatal und darf sich so nicht mehr wiederholen. Die Arbeit der unabhängigen Mindestlohnkommission hat sich bewährt, sie orientiert sich bei der Empfehlung zur Mindestlohnanpassung alle zwei Jahre nachlaufend an der Tarifentwicklung (§ 9 Abs. 2 MiLoG). Es muss Aufgabe und das Selbstverständnis der Sozialpartner sein, die Tarifverträge immer wieder aktuellen Herausforderungen anzupassen und dabei – frei von staatlicher Einflussnahme – einen für beide Seiten tragfähigen Kompromiss für eine ganze Branche auszuhandeln. Mehr staatliche Einflussnahme ist hierzu nicht hilfreich, sondern in höchstem Maße kontraproduktiv. Die Tarifvertragsparteien benötigen wieder ausreichend Gestaltungsspielraum, um in Zeiten des digitalen Wandels attraktive Tarifverträge anbieten zu können.
Forderungen
- Koalitionsfreiheit erhalten: Mehr Gestaltungsfreiräume für Tarifpartner schaffen: Durch Öffnungsklauseln im Gesetz können neue Spielräume für Tarifgestaltungen eröffnet werden, die die Attraktivität von Tarifbindung fördern.
- Unabhängige Mindestlohnkommission respektieren: Die unabhängige Mindestlohnkommission hat sich bewährt, sie orientiert sich bei der Empfehlung nachlaufend an der Tarifentwicklung.
- Keine Erleichterung der AVE-Voraussetzungen: Eine Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine AVE lehnt der HDE als ungerechtfertigten Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) strikt ab.
Positionen
Auch im Einzelhandel ist die Tarifbindung – wie in vielen anderen Branchen auch – seit Jahren leicht rückläufig. Hintergrund ist vor allem die überbordende Regulierung der Arbeitsbeziehungen im vergangenen Jahrzehnt.
Im Juni 2023 ist die EU-Entgelttransparenz-RL 2023/970 (EU-Richtlinie) „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ in Kraft getreten.
Die unternehmerischen Handlungsspielräume wurden in den letzten Jahren durch den Gesetzgeber immer weiter eingeschränkt. Wohlmeinende und isoliert betrachtet sinnvolle neue Verbraucherschutzvorschriften und steuernde staatliche Eingriffe in die Lieferbeziehungen im B2B-Bereich mit dem Ziel, “faire, sozial und ökologisch verantwortungsvolle” Vertragsbeziehungen zu gewährleisten, haben die Vertragsfreiheit auf allen Ebenen unverhältnismäßig begrenzt.
Der Binnenmarkt ist und bleibt die größte Errungenschaft der Europäischen Union. Nur mit ihm in seiner vollen Funktionsfähigkeit kann die EU im Wettbewerb mit den anderen Weltregionen bestehen.
Die Herausforderungen für den Standort Deutschland sind aktuell groß. Zuversicht muss wieder an die Stelle von Unsicherheit treten. Dazu kann eine verlässliche Wirtschaftspolitik beitragen, die auf Investitionen statt auf Regulierung setzt und für alle Unternehmen unabhängig von Branche, Größe und Region, bessere Rahmenbedingungen schafft und die strukturellen Probleme wirklich angeht und löst.
Die Innenstädte sind nicht nur das emotionale „Herz der Stadt“. Sie garantieren durch die Versorgungsdichte und -qualität des Handelsangebots den Großteil der Versorgung der Bevölkerung mit Waren aller Art.
Der Einzelhandel leistet als einer der größten Arbeitgeber und Ausbilder in Deutschland heute und morgen einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand des Landes. Die beiden Kernberufe im Einzelhandel „Kaufleute im Einzelhandel“ und „Verkäufer“ – gehören jedes Jahr zu den beliebtesten Ausbildungsberufen in Deutschland.
Ursache für die rückläufige Tarifbindung über alle Branchen hinweg ist in Deutschland vor allem der verringerte Gestaltungsspielraum für Tarifvertragsparteien aufgrund einer weiter zunehmenden gesetzlichen Regulierung.
Der deutsche Handel steht vor gewaltigen Herausforderungen: Der Mangel an Fachkräften, die rasante Digitalisierung und der Druck zu mehr Nachhaltigkeit verlangen nach innovativen Lösungen.
Was sagen die Händler?
„Es ist Aufgabe der Sozialpartner, die Tarifverträge stets an die aktuellen Herausforderungen anzupassen und einen Kompromiss für die Branche auszuhandeln. Als HDE haben wir konstruktive Vorschläge unterbreitet, die die Tarifbindung steigern können und gleichfalls die Tarifautonomie stärken. Mehr staatliche Einflussnahme durch Zwang und überbordende Regelung ist hingegen nicht hilfreich. Die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission ist zu respektieren. Eine rein politisch motivierte Mindestlohnanhebung darf es nicht mehr geben, dabei handelt es sich um einen schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie.“
Steven Haarke
HDE
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik