So sieht es aus

Neue Impulse setzen, Massenarbeitslosigkeit verhindern

Die Corona-Pandemie und deren Folgen haben Gesellschaft, Wirtschaft und die Arbeitswelt schwer getroffen. Hinzu kommt eine kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine mit völlig unabsehbaren humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen. Insbesondere Nicht-Lebensmittelhändler kämpfen aufgrund der Ladenschließungen in der Vergangenheit sowie anschließenden Zugangsbeschränkungen für Kunden weiter um ihre nackte wirtschaftliche Existenz. Massenarbeitslosigkeit konnte bislang branchenübergreifend insbesondere durch den großflächigen Einsatz von Kurzarbeit verhindert werden. Auch im Einzelhandel konnte die Beschäftigungssituation dank Kurzarbeit bislang recht stabil gehalten werden. Kurzarbeit ist aber keine Dauerlösung. Um die Unternehmen zu stabilisieren und Massenarbeitslosigkeit auch zukünftig zu verhindern, ist es bereits jetzt zwingend erforderlich, wirksame Maßnahmen zu ergreifen und Impulse für den Neustart zu setzen.

HDE Grafik zu Frauen in Führungspositionen. Im Einzelhandel arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen. Im Einzelhandel sind 38 Prozent in der ersten Führungsebene, 65 Prozent in 2. Führungsebene und 68 Prozent gesamt Beschäftigt. In der Gesamtwirtschaft sind 26 Prozent in der 1. Führungsebene, 40 Prozent in der 2. Führungsebene und 44 Prozent ist der Gesamtanteil an Frauen.

Die Herausforderung

Belastungen verringern, Flexibilität erhöhen

Was die Unternehmen jetzt am wenigsten gebrauchen können, sind neue Belastungen und zusätzliche Reglementierungen von bestehenden Instrumenten des Personaleinsatzes. Die Unternehmen haben nach wie vor genug damit zu tun, die Herausforderungen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Hinzu kommt der Krieg in der Ukraine mit derzeit noch völlig unabsehbaren humanitären und wirtschaftlichen Konsequenzen. Jede weitere Baustelle im betrieblichen Ablauf ist da nur hinderlich. Im Gegenteil: Es bedarf jetzt mehr denn je eines rechtlichen Rahmens, der es den Unternehmen ermöglicht, bei Anzeichen der ersten wirtschaftlichen Erholung unbürokratisch und flexibel neue Beschäftigung aufzubauen. Anpassungen im Arbeitsrecht wirken erfahrungsgemäß schnell und sind für den Staat oft kostenneutral. Diese Chance muss jetzt genutzt werden, die Unternehmen benötigen mehr Flexibilität.

Zeit zum Handeln

Unsere wichtigsten Vorschläge im Einzelnen

Das Arbeitszeitgesetz muss endlich modernisiert werden. So passt das Arbeitszeitgesetz nicht mehr in die heutige Zeit mit Smartphones und Videokonferenzen an jedem Ort. Der Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen SPD, Grünen und FDP ist an dieser Stelle leider zu wenig ambitioniert. Neben einem prinzipiellen Wechsel von einer täglichen zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz bedarf es auch mehr Flexibilität bei der gesetzlichen Ruhezeit. Hier müssen die Spielräume des EU-Rechts auf nationaler Ebene voll ausgeschöpft werden. Sehr zu begrüßen ist hingegen, dass die Ampel-Koalitionäre die sogenannte sachgrundlose Befristung in der Privatwirtschaft nicht weiter in Frage stellen. Ein hoch-bürokratischer Erörterungsanspruch oder gar ein Rechtsanspruch auf Homeoffice sind ebenso überflüssig wie eine Pflicht zur vollständigen Arbeitszeiterfassung für mobile Arbeit. Ist Homeoffice oder mobile Arbeit im Arbeitsverhältnis sinnvoll, lässt sich dies in der Praxis bereits heute unbürokratisch umsetzen. Wichtig wäre endlich auch die Schaffung von mehr Rechtssicherheit beim Einsatz von externen Digitalisierungsexperten – Selbstständiger wie auch Mitarbeiter von Dienstleistern – in agilen Projekten am Wirtschaftsstandort Deutschland.

Zur Stärkung der Tarifbindung unter Wahrung der Tarifautonomie wäre es sinnvoll im Laufe der Legislaturperiode zusätzliche Öffnungsklauseln im Gesetz einzuführen und endlich auch die Möglichkeit modularer Tarifbindung zu schaffen. Es ist sehr zu begrüßen, dass die verfassungsrechtlich garantierte negative Koalitionsfreiheit (Art. 9 III GG) nicht in Frage gestellt wird. Positiv ist auch, dass sich der Koalitionsvertrag klar zu wichtigen flexiblen Personaleinsatzinstrumenten wie Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung bekennt. Zusätzlich sollte aber auch die Arbeit auf Abruf wieder erleichtert werden. Sinnvoll wäre hier eine Rückkehr zur 10-Stunden-Regelung sowie eine Verkürzung der viertägigen Ankündigungsfrist. Die von der Ampel-Koalition am 23. Februar 2022 beschlossene Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobber auf 520 Euro sowie deren Dynamisierung anhand der künftigen Mindestlohnentwicklung ist zu begrüßen. Diese müsste jetzt zügig umgesetzt werden. Die in diesem Zuge ebenfalls geplante Umverteilung der Beitragslast beim Midijob zu Ungunsten der Arbeitgeber ist hingegen inakzeptabel und zu streichen. Die Koalitionäre wollen zudem Online-Betriebsratswahlen erproben. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein erweitertes digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften ist hingegen nicht erforderlich. Verbandsklagerechte, insbesondere im Bereich der Entgelttransparenz, sind unnötig und fördern missbräuchliche Klagen.

Eine politisch angeordnete Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro brutto pro Stunde zum 1. Oktober 2022, wie es vom Bundeskabinett ebenfalls vereinbart wurde, ist strikt abzulehnen. Es handelt sich um eine Entmachtung der Mindestlohnkommission sowie um einen Eingriff in die Tarifautonomie. Der Mindestlohn darf nicht zum Spielball der Politik werden. Dieses Vorhaben gefährdet den wirtschaftlichen Aufschwung nach Corona, riskiert negative Beschäftigungseffekte und schafft Anreize für Investitionen in die Automatisierung der Arbeitsabläufe. Die Anhebung des Mindestlohnes müsste auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs nochmals grundsätzlich neu diskutiert werden, in jedem Fall aber müsste die Mindestlohnanhebung wegen der aktuell fragilen Lage zunächst aufgeschoben werden.

Steven Haarke
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik
E-Mail: haarke@hde.de