Neustart

Welche konkreten Maßnahmen werden Sie umsetzen, um den von der Coronakrise gebeutelten Handel zu unterstützen, seine Geschäftsmodelle neu und nachhaltiger aufzustellen?

Viele Handelsunternehmen, darunter auch viele kleine und mittlere, haben bereits umfangreich in Digitalisierung investiert. Trotzdem bleiben der Investitionsbedarf und die Digitalisierungs- und Innovationsanforderungen weiter hoch. Durch Investitionszuschüsse, mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote und steuerliche Regelungen, die Investitionen in Digitalisierung zusätzlich fördern, wollen wir GRÜNE Unternehmen bei Digitalisierungsherausforderungen auch weiterhin unterstützen. Dafür wollen wir die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren finanziell und personell ausbauen, damit sie bundesweit den Unternehmen mit kompetenter Beratung besser zur Seite stehen können und die Investitionsförderung für KMUs entlang des Programmes „Digital Jetzt“ beschleunigen, vereinfachen und aufstocken.

Nachhaltigkeit

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die EEG-Umlage kein wirkungsvolles Instrument zur CO2-Vermeidung ist. Wie stehen Sie zu der Forderung, die EEG-Umlage abzuschaffen und durch ein marktwirtschaftliches Modell ersetzen, das auf einem europäischen und nationalen CO2-Preis basiert?

Wir GRÜNE wollen die Klimaziele mit einem zielgerichteten Mix verschiedener Instrumente erreichen, der eine richtige Lenkungswirkung entfaltet und gleichzeitig sozial ausgewogen ist. Die CO2-Bepreisung ist dabei ein Element neben notwendigen Anreizen sowie ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Dabei wollen wir den CO2-Preis wirksam einsetzen. Allerdings würde der Versuch, Klimaziele allein mit der CO2-Bepreisung zu erreichen, zu großen sozialen Zerwürfnissen führen. Daher ist ein Instrumentenmix notwendig. Mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis wollen wir neben der Zahlung eines Energiegeldes an die Bürger*innen auch die EEG-Umlage senken. Mit der Senkung der EEG-Umlage sorgen wir für faire und bezahlbare Strompreise. Mit diesen Maßnahmen wollen wir den Klimaschutz sozial gerecht gestalten.

Bald kommt ein europäisches Sorgfaltspflichtengesetz. Werden Sie sich für eine „sunset clause“ einsetzen, um einzelstaatliche Regelungen zugunsten einer europäisch harmonisierten Regelung abzuschaffen und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutsche Handelsunternehmen sicherzustellen?

Verabschiedet die EU eine Verordnung oder eine Richtlinie über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, muss das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz aufgrund von EU-Recht auf den Prüfstand. Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung verpflichtet die Bundesregierung in diesem Falle dazu, das deutsche Gesetz bereits nach sechs Monaten zu evaluieren, anzupassen und gegebenenfalls nach zu schärfen, um es mit der EU-Verordnung oder Richtlinie in Einklang zu bringen sowie dazu ein Level Playing Field sicherzustellen. Das angepasste deutsche Sorgfaltspflichtengesetz bietet somit auch im Falle einer europäischen Richtlinie oder Verordnung ein notwendiges Umsetzungsinstrumentarium (und bedarf daher keiner Sunset Clause).

Innenstädte

Infolge der Digitalisierung sind unsere Innenstädte grundlegenden Veränderungen unterworfen. Damit sie auch künftig lebenswert sind, muss das Nebeneinander unterschiedlicher Stadtakteure wieder möglich sein. Wie werden Sie die funktionale Durchmischung der Innenstädte stärken?

Innenstädte und Ortskerne, die das Herz einer jeden Stadt sind, befinden sich in der Krise. Einzelhändler*innen, kulturelle und soziale Einrichtungen kämpfen aufgrund steigender Mietkosten, Onlinekonkurrenz und der Corona-Pandemie um ihre Existenz. Um unsere Innenstädte und Ortskerne zu retten, fordern wir GRÜNE ein Gewerbemietrecht, das kleinere Geschäfte sowie soziale und kulturelle Einrichtungen vor Verdrängung schützt. Wir brauchen einen Städtebaunotfallfonds in Höhe von 500 Millionen Euro im Jahr für Kommunen, um Leerstand beleben und Schlüsselimmobilien erwerben zu können. Wir setzen mit Fuß- und Radverkehr und kühlenden Grünflächen auf Aufenthaltsqualität in Innenstädten und Ortskernen. Wir brauchen eine Digitalisierungsoffensive für den lokalen Handel und bezahlbaren Wohnraum in unseren Innenstädten und Ortskernen, mit einem Bundesprogramm Neue Wohngemeinnützigkeit für eine Million neue günstige Mietwohnungen. Wir wollen Kommunen entschulden und ihre Handlungsspielräume erweitern.

Digitalisierung

Viele kleine und mittelständische Handelsunternehmen sind in Folge des Lockdowns finanziell ausgezehrt und können notwendige Investitionen, etwa in die Digitalisierung, nicht aus eigener Kraft stemmen. Wie werden Sie den Handel dabei unterstützen, den Strukturwandel zu bewältigen?

Bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen und Selbständigen ist nach Monaten der Krise die Eigenkapitalbasis gefährlich ausgezehrt. Der Eigenkapitalzuschuss in den Überbrückungshilfen des Bundes ist hier nur ein erster Schritt, den wir GRÜNE ausbauen wollen. Darüber hinaus wollen wir es den Unternehmen ermöglichen, ihre Corona-Verluste mit den Gewinnen der letzten 4 Jahre (derzeit ist dieser Verlustrücktrag auf 1 Jahr begrenzt) zu verrechnen. Diese Unternehmen erhalten dann die in den Vorjahren gezahlten Steuern erstattet. Das hilft vor allem KMU, die z.B. wegen Schließungen sehr hohe Verluste hatten beim Neustart. Außerdem profitieren sie, wie andere Unternehmen auch, von unseren verbesserten Abschreibungsbedingungen für Investitionen z.B. in Digitalisierung.

Wettbewerb

Deutschland verfügt bereits über ein im europäischen Vergleich hohes Verbraucherschutzniveau, das für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Konsumenten und der Wirtschaft sorgt. Halten Sie vor diesem Hintergrund weitere Regulierungen zum Schutz der Verbraucher für erforderlich?

Wir GRÜNE begrüßen es, dass Verbraucher*innenschutz in Deutschland einen hohen Stellenwert hat. Markt und Wettbewerb leben in hohem Maße auch vom Vertrauen der Verbraucher*innen und von Transparenz. Daher werden wir uns weiter für einen funktionierenden Verbraucher*innenschutz inklusive verlässlicher und verständlicher Verbraucher*inneninformationen einsetzen. Handlungsbedarf für mehr Transparenz sehen wir beispielsweise bei der Lebensmittelkennzeichnung. Viele Handelsunternehmen haben bereits eine Tierhaltungskennzeichnung eingeführt; wir wollen eine solche Kennzeichnung gesetzlich verbindlich regeln. Ebenso wollen wir den Nutri-Score auf EU-Ebene gesetzlich verankern, damit er künftig auf allen Fertiglebensmitteln Orientierung über den Nährwert gibt. Im Online-Handel wollen wir den Verbraucher*innenschutz stärken, indem wir Online-Marktplätze, über die viele Produkte aus Drittstaaten auf den europäischen Markt kommen, mithilfe von Sorgfaltspflichten stärker in die Verantwortung für Produktsicherheit und Fälschungsschutz nehmen.

Beschäftigung

Die deutsche Sozialpartnerschaft ist ein Erfolgsmodell und hat sich auch in Krisenzeiten bewährt. Dennoch hat der Gesetzgeber zuletzt immer stärker in die Tarifautonomie eingegriffen. Wie werden Sie die Gestaltungsfreiheit für die Sozialpartner fördern und die Tarifautonomie stärken?

Wir GRÜNE teilen die Einschätzung, dass die Sozialpartnerschaft ein hohes Gut ist und sich gerade in Krisenzeiten bewährt hat. Allerdings müssen wir feststellen, dass deren Funktionsfähigkeit bedroht ist. Immer weniger Unternehmen sind in Tarifverbänden organisiert. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ist in der Summe ebenfalls rückläufig. Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe und tariflichen Jobs haben neue Negativrekorde erreicht. Diese Entwicklung ist nicht nur eine Gefahr für die Krisenresilienz unserer Volkswirtschaft, sondern vertieft auch die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt und bedroht den Zusammenhalt der Gesellschaft. Deshalb müssen wir die Tarifbindung wieder stärken und prekäre Beschäftigung eindämmen.