So sieht es aus

Grundlage der Verbraucherschutzgesetzgebung ist das Verbraucherleitbild

Die Frage, wie schutzbedürftig der Verbraucher in der Praxis ist, entscheidet über das Maß der erforderlichen Regulierung. Staatliche Eingriffe in das Verhalten der Verbraucher sind auch immer mit Einschränkungen der individuellen Freiheit verbunden. Eine freie Gesellschaft setzt aber maximale Handlungsspielräume für die Marktteilnehmer voraus, die nur im erforderlichen Rahmen durch (Schutz-)Gesetzgebung eingeschränkt werden dürfen.
Das Verbraucherleitbild entscheidet damit über die Gewährung autonomer Entscheidungsmöglichkeiten des Verbrauchers als Wirtschaftsakteur einerseits und das Maß der Einschränkungen zu seinem erforderlichen Schutz andererseits.

Die Herausforderung

Das Verbraucherleitbild ist umstritten. Wissenschaftlich ist anerkannt, dass die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nicht objektiv festzustellen ist. Sie wird vielmehr auf Grundlage einer subjektiven Bewertung ermittelt, die nicht zuletzt von der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Anschauung des Einzelnen abhängt.

In der Debatte werden zwei extreme Positionen vertreten, die in vielfältiger Weise variiert und kumuliert werden:

  • Der Verbraucher als „homo oeconomicus“: Danach ist der Verbraucher ausreichend informiert, handelt bei seinen Konsumentscheidungen streng rational und emotionslos im Interesse des eigenen Vorteils. Verbraucherschutzgesetzgebung ist unter diesen Voraussetzungen nur in sehr begrenztem Maße erforderlich. Der Verbraucher behält aufgrund fehlender (Schutz-)Gesetze maximale Handlungsspielräume. Entspricht er aber nicht dem Idealtypus, fehlt ihm als Marktteilnehmer der erforderliche Schutz.
  • Der schutzbedürftige Verbraucher: Die Vertreter dieses Verbraucherbildes betrachten den Konsumenten als irrational handelndes Wesen, welches einerseits kurzfristig denkt, spontan sowie triebgesteuert handelt und bei den Konsumentscheidungen häufig die Folgekosten vernachlässigt, andererseits aber auch aufgrund mangelnder Willenskraft notwendige Entscheidungen verschiebt oder sich triebgesteuert gegen seinen „wahren“ Willen entscheidet. Diese Prämissen erfordern eine fürsorgende Regulierung des Gesetzgebers, die im Ergebnis zu einer wohlmeinenden und paternalistischen Bevormundung des Verbrauchers führt und ihm nur noch wenige Spielräume für eigene Entscheidungen lässt.

Zwar wird in der politischen Diskussion der letzten Jahre vielfach ein „differenziertes Verbraucherbild“ vertreten. Trotz der apostrophierten Differenziertheit ist dieses Leitbild mit generalisierenden Tendenzen verbunden, unterstellt eine Schutzbedürftigkeit für bestimmte Marktsituationen und führt damit im Ergebnis zu einem höheren Regulierungsniveau und mehr Einschränkungen der autonomen Handlungsspielräume. Vorgeschlagen werden in diesem Zusammenhang z. B. Werbeverbote, die mittelbare Einschränkung des Produktangebots durch zivilrechtliche Vorgaben und die kollektive Wahrnehmung individueller Interessen durch Verbraucherschutzverbände.

Zeit zum Handeln

Eine freie Gesellschaft braucht Handlungsspielräume für autonome Entscheidungen aller Marktakteure einschließlich der Verbraucher. Staatliche Eingriffe sind daher nur akzeptabel, wenn sie zum Schutz der Verbraucher vor akut bestehenden Risiken oder zur Vermeidung externer Schäden erforderlich und angemessen sind.
Ein Schutz- und Fürsorgebedürfnis der Verbraucher darf vom Gesetzgeber deshalb nicht generalisierend – z. B. für bestimmte Marktsituationen – unterstellt werden. Eine staatliche Durchregulierung des Wirtschaftslebens ist unbedingt zu vermeiden. Bei neuen Schutzvorschriften ist deren Erforderlichkeit zu prüfen. Der Gesetzgeber sollte dabei dem von der Rechtsprechung entwickelten Leitbild des grundsätzlich mündigen, durchschnittlich aufgeklärt handelnden Verbrauchers unter Berücksichtigung der angesprochenen Verkehrskreise und der konkreten Situation folgen. Nur so werden dem Verbraucher die erforderlichen Freiräume zur Entfaltung seiner Persönlichkeit geboten. Dies schließt auch das Recht zu irrationalen Entscheidungen mit ein. Auch spontane und emotionale Verhaltensweisen sind das Recht eines autonom handelnden Bürgers.
Versuche des Gesetzgebers, durch staatliche Regulierung einen rein rational handelnden Verbraucher zu formen, dessen Verhalten einheitlich den von Dritten definierten Kriterien folgt, haben in einer liberalen und vielfältigen Gesellschaft keinen Platz. Ausnahmen dürfen nur gelten, wenn unmittelbar ernsthafte Gefahren für den Verbraucher oder externe Schäden drohen. Der Gesetzgeber kann zwar durch optimierte Information der Verbraucher deren Entscheidungsgrundlage verbessern, muss dabei aber auch Augenmaß bewahren, um seine Zielsetzung nicht durch einen Information Overload zu konterkarieren.

Dr. Peter Schröder
Bereichsleiter Recht- und Verbraucherpolitik
E-Mail: schroeder@hde.de