Tarifautonomie - Entgelttransparenzgesetz
So sieht es aus
Die nationale Umsetzung der EU-Entgelttransparenz-Richtlinie
Im Juni 2023 ist die EU-Entgelttransparenz-RL 2023/970 (EU-Richtlinie) „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ in Kraft getreten. Die Bundesregierung hat im Sommer 2023 die Wirksamkeit des EntGTranspG mit Blick auf die Entwicklung von Entgeltunterschieden zwischen Frauen und Männern evaluiert. Danach lässt die bevorstehende Umsetzung der Entgelttransparenz-Richtlinie umfassende neue gesetzliche Vorgaben in Bezug auf das EntGTranspG erwarten. Das federführende Familienministerium (BMFSFJ) erarbeitete bis zum vorzeitigen Bruch der Ampelkoalition im November 2024 einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie, der dann aber letztlich nicht mehr in die Verbändeanhörung gegeben wurde. Es bleibt also zunächst weiter abzuwarten, wie eine neue Bundesregierung mit diesem Thema umgehen wird bzw. wie schnell und in welcher Form eine Anpassung des nationalen Recht vom Familienministerium angestrebt wird. Die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht müsste spätestens bis Juni 2026 erfolgen und damit noch innerhalb der nächsten Legislaturperiode.
Die Herausforderung
Umsetzung der EU-Richtlinie mit Augenmaß
Die Richtlinie enthält mehrere kritische Maßnahmen und verlangt u. a. Angaben zum Entgelt bereits für Bewerber, einen umfassenden Auskunftsanspruch für Arbeitnehmer unabhängig von der Betriebsgröße, eine Prozessstandschaft zur Durchsetzung des individuellen Auskunftsanspruchs, regelmäßige Berichtspflichten über das geschlechterspezifische Entgeltgefälle für Arbeitgeber ab 100 Beschäftigten, jährliche Informationspflichten über das bestehende Auskunftsrecht sowie einen Schadensersatz- bzw. Anspruch auf Entschädigung ohne eine vorab festgelegte Obergrenze sowie Sanktionsregelungen.
Zeit zum Handeln
Schweren Eingriff in die Tarifautonomie verhindern
Die umfassenden neuen Vorgaben der Richtlinie gehen teilweise deutlich über die aktuell geltenden Gesetzesvorgaben im EntgTranspG hinaus. Daher muss die Anpassung ins deutsche Recht mit Augenmaß erfolgen. Dazu zählt auch, die Umsetzungsfristen bis Juni 2026 voll auszuschöpfen und sinnvolle Unterstützungsleistungen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, auf den Weg zu bringen. Das EntgTranspG verbietet bereits seit 2017 ausdrücklich bei gleicher und gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen. Es enthält zudem einen individuellen Auskunftsanspruch für Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten und eine Beweislastumkehr zulasten der Arbeitgeber. Der in der Richtlinie angelegte individuelle Auskunftsanspruch zur durchschnittlichen Entgelthöhe vergleichbarer Arbeitnehmer ist als grob mittelstandsfeindlich und hoch bürokratisch abzulehnen, da er nicht an einen Schwellenwert gebunden wäre. Auch die in der EU-Richtlinie vorgesehene Berichterstattungspflicht über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle für größere Unternehmen wäre mit enormem Bürokratieaufwand verbunden. Bei den Berichtspflichten wird eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie gefordert, darüber hinausgehende nationale Berichtspflichten sind strikt zu unterlassen. Hinzu kommt, dass eine Änderung ganzer Entgeltsysteme ein hochkomplexer Prozess ist. Für tarifgebundene und tarifanwendende Unternehmen muss es weiterhin Erleichterungen geben, etwa in Form vereinfachter Verfahren und längerer Fristen. Zumindest aber muss der Verweis auf einen angewendeten Tarifvertrag zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs ausreichen. Tarifverträge bieten ein transparentes, geschlechtsneutrales und an objektiven Kriterien ausgerichtetes Vergütungssystem. Für Tarifverträge gilt deshalb auch eine Richtigkeitsgewähr. Insbesondere die Einführung eines verpflichtenden Prüfverfahrens würde einen schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) darstellen. Die Tarifbindung ist branchenübergreifend in Deutschland rückläufig und würde ohne diese Erleichterung weiter stark unter Druck geraten. Die EU-Richtlinie adressiert nicht die tatsächlichen Ursachen für die unterschiedliche Bezahlung. Der HDE fordert eine gezielte Verbesserung von Erwerbs- und Karriereaussichten durch die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Für den Einzelhandel wäre es von besonderer Bedeutung, wenn bundesweit flächendeckend an allen Werktagen (Mo – Sa) auch nach 17 Uhr eine Kita-Betreuung selbstverständlich möglich wäre.
Steven Haarke
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik
E-Mail: haarke@hde.de
Innenstädte - Leerstand
So sieht es aus
Die Lebendigkeit der Innenstädte ist akut bedroht
Die Innenstädte leiden bereits seit einigen Jahren unter Frequenzrückgängen und der Umsatzverschiebung in den Online-Handel. Die Corona-Krise sowie die anhaltende Konsumzurückhaltung hat die Lage noch einmal wesentlich verschärft. Infolgedessen werden weiterhin Handelsunternehmen leider aufgeben müssen, so dass bisher keine Trendwende abzusehen ist. Diese damit einhergehende Verschlechterung der Versorgungsdichte und -qualität für die Bürger*innen vor Ort sowie das entsprechend unattraktivere Bild unserer Innenstädte fordert zum sofortigen Handeln auf.
Die Herausforderung
City als emotionales Zentrum sichern
Innenstädte sind nicht nur zentrale Versorgungspunkte einer Stadt – Innenstädte sind auch die emotionalen Zentren einer Stadt. 78% der Bürger*innen gaben an, dass der Verlust von alteingesessenen Geschäften, auch ein Verlust an Heimat ist. Die Bürger*innen haben daher ein sensibles Gespür dafür, wie sich der auch emotionale Kern ihrer Stadt verändert und sehen eine direkte Abhängigkeit zwischen der Handels- und Stadtentwicklung. Bisher kommen über 70% der Besucher*innen, weil sie die Angebote der innerstädtischen Geschäfte schätzen. Daher ist Einkauf die Leitfunktion der Innenstädte und das wesentliche Rückgrat der viel zitierten Urbanität. Keine andere Innenstadtfunktion vermag es, tagtäglich tausende Menschen in die Innenstädte zu bewegen. Viele weitere Bereiche der Innenstädte profitieren von dieser Sogwirkung und sind direkt oder indirekt davon abhängig. Das „System Innenstadt“ leidet daher als Ganzes, wenn attraktive Geschäfte durch Leerstände ersetzt werden.
Zeit zum Handeln
Leerstände abbauen durch innerstädtische Gründerzentren
Aufgrund der anstehenden Probleme durch zunehmende Leerstände ist es für eine gute Stadtplanung unerlässlich, die Flächenpotenziale im Sinne einer raschen Neuvermietung laufend systematisch zu erfassen und mit Hilfe einer GIS-basierten Software zu visualisieren. Hierbei ist sofort zu bewerten, ob eine ehemalige Handelsfläche sich für eine nachfolgende Handelsnutzung eignet. Darüber hinaus geht es um einen gesunden Branchenmix. Die Städte müssen aktiver gemanagt werden. Ansonsten ist die Zukunft der Innenstädte in Gefahr.
Dabei können Leerstände auch Chancen für neue Geschäfte und eine Erhöhung des Angebotsmix und der Attraktivität sein. Hierzu muss die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte der kommunalen Gründerzentren für die Innenstädte adaptiert werden. Sprich: Neue Geschäftsgründer werden aktiv gesucht, über z.B. drei Jahre geschult, die Wareneinrichtung mitfinanziert, der erste Wareneinkauf anteilig finanziert und die Mieten degressiv unterstützt. Somit können gleichzeitig Existenzgründer im Handel gefördert, Arbeitsplätze geschaffen, der Branchenmix und die Attraktivität erhöht sowie bestehende Leerstände abgebaut werden.
Hierzu sollten die Kommunen regelmäßige Austauschformate mit dem Handel und den Immobilieneigentümern ins Leben rufen. Nur in dieser Kooperation besteht die Chance, die Interessen der Innenstadtakteure im Sinne einer zukunftsfähigen Innenstadtentwicklung auszugleichen und den Sachverstand aus den unterschiedlichen Bereichen zu bündeln. Zudem können sich daraus auch neue Mietmodelle in Bezug auf lokal angepasste Gewerbemieten ergeben, die einen langfristigen Erfolg für eine nachhaltige Innenstadtentwicklung versprechen.
In begründeten Einzelfällen müssten außerdem die bestehenden Möglichkeiten des Vorkaufsrechts in den förmlich festgelegten Sanierungsgebieten ausgeübt werden können, um den Branchenmix abzurunden. Dabei wird sich die Situation in den deutschen Innenstädten nicht überall in gleicher Art und Weise verändern. Dazu sind die Lage im Raum, die funktionale Ausstattung, die städtebauliche Attraktivität, die Kaufkraft oder auch die Konkurrenz mit den Nachbarorten zu unterschiedlich. Allen Städten gemeinsam sind jedoch die dynamischen Veränderungen der Gegenwart durch Umsatzverschiebungen in den Online-Handel sowie die Geschäftsschließungen infolge der Corona- Krise und Konsumzurückhaltung. Selbst Großstädte und Metropolen machen sich zunehmend Gedanken über den attraktiven Fortbestand ihrer Stadtteilzentren, die nicht die Ausstrahlungskraft der zentralen Fußgängerzone besitzen. Die Zeit der stillen Beobachtung ist vorbei.
Es ist Zeit zum Handeln – jetzt.
Michael Reink
Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik
E-Mail: reink@hde.de
Tarifautonomie - Tarifautonomie als Erfolgsfaktor stärken
So sieht es aus
Tarifbindung aufgrund von Überregulierung weiter rückläufig
Auch im Einzelhandel ist die Tarifbindung – wie in vielen anderen Branchen auch – seit Jahren leicht rückläufig. Hintergrund ist vor allem die überbordende Regulierung der Arbeitsbeziehungen im vergangenen Jahrzehnt. Nach den aktuellen Jahreszahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belief sich der Anteil der Beschäftigten im Einzelhandel bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber (Branchen- oder Haustarifvertrag) im Jahr 2023 noch auf 23 Prozent. Im Vorjahresvergleich ist der Wert laut IAB-Umfrage um drei Prozent gesunken. Auffällig ist, dass im gleichen Umfang die Anzahl der Beschäftigten, deren Betrieb sich auf rein vertraglicher Basis an einem Flächentarifvertrag orientiert (z. B. beim Entgelt) von 56 Prozent auf 59 Prozent gestiegen ist. Auf diese Weise gelten die Branchen-und Haustarifverträge im Einzelhandel aktuell weiterhin für mehr als zwei Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel. In der Gesamtwirtschaft waren im Jahr 2023 nach IAB-Erhebung noch 50 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Unternehmen tätig. Im Vorjahresvergleich entspricht dies einem leichten Rückgang (2022: 51 Prozent).
Die Herausforderung
Mehr staatlicher Zwang ist das falsche Signal
Es ist allein Aufgabe der Sozialpartner, die Branchentarifverträge aktuellen Herausforderungen anzupassen und einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss auszuhandeln. Eine Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) ist dafür keine Lösung. Die AVE stellt vielmehr einen massiven Eingriff in die Tarifautonomie und eine Einschränkung der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG dar, die eine Ausnahme bleiben muss und überdies einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Weniger als ein Prozent aller Tarifverträge sind allgemeinverbindlich.
Zeit zum Handeln
Politik muss Gestaltungsspielräume für mehr Tarifbindung schaffen
Mehr staatliche Einflussnahme schadet der Tarifbindung in Deutschland massiv. Das gilt vor allem für rein politisch motivierte Anhebungen des Mindestlohnes per Gesetz im zeitlichen Kontext von Bundestagswahlen ohne Beteiligung der unabhängigen und paritätisch besetzten Mindestlohnkommission.
Die Arbeitsweise der Mindestlohnkommission hat sich ebenso bewährt wie die grundsätzliche Orientierung des Mindestlohns an der nachlaufenden Tariflohnentwicklung. Eine Änderung des Anpassungsmechanismus würde diesen Erfolg nachhaltig gefährden und tief in die Tarifautonomie eingreifen. Der gesetzliche Mindestlohn darf unter keinen Umständen zum Spielball der Politik werden.
Der HDE hat bereits in der Vergangenheit konstruktive Vorschläge gemacht, wie sich die Tarifbindung in der Wirtschaft wieder effektiv steigern lässt, ohne dabei die Tarifautonomie unverhältnismäßig zu beschädigen. Die Tarifpartner benötigen vor allem wieder mehr Gestaltungsspielraum. Dies setzt zum einen voraus, dass nicht immer mehr traditionelle Tarifvertragsinhalte durch Gesetz abschließend geregelt werden. Zum anderen müssen den Tarifvertragsparteien durch zusätzliche Öffnungsklauseln im Gesetz neue Gestaltungsspielräume eröffnet werden. Die Tarifpartner könnten die Tarifbindung dann durch attraktive praxisnahe Tarifangebote, die den Unternehmen einen echten Mehrwert bieten, steigern. Sinnvoll wäre auch die Modularität von Tarifverträgen, bei der sich nicht tarifgebundene Arbeitgeber für einzelne Module (z. B. Entgelt) aus einem Tarifwerk entscheiden dürfen. Dadurch wird die Schwelle zur Tarifbindung abgesenkt. Erforderlich ist auch eine Stärkung der Unternehmensindividualisierung durch mehr Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen selbst.
Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes im Wege eines sog. „Tariftreuegesetzes“ an die Tarifvertragsbindung zu koppeln, lehnt der HDE strikt ab. Dabei handelt es sich um Tarifzwang durch die „Hintertür“. Zumal ein solches Vorhaben das selbst gesetzte Ziel gänzlich verfehlen und kein Unternehmen nur deshalb eine Tarifbindung eingehen würde. Stattdessen entstünden an öffentlichen Aufträgen interessierten Unternehmen vor allem unnötige und bürokratische Hürden sowie Kosten.
Steven Haarke
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik
E-Mail: haarke@hde.de
Innenstädte - Verlässliche Sonntagsöffnung
So sieht es aus
Handelsunternehmen bleiben auf den Kosten sitzen
Nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts bedarf es eines hinreichenden Sachgrundes für die Einschränkung des verfassungsmäßig verankerten Sonn- und Feiertagsschutzes. Umsatzinteressen der Händler und auch Erwerbsinteressen der Kunden seien nach Auffassung des Gerichts kein solcher Grund. Sonntagsöffnungen im stationären Einzelhandel sollen jeweils als Ausnahme erkennbar bleiben (Regel Ausnahme-Prinzip). Die Ladenöffnungsgesetze vieler Bundesländer verlangen für eine Sonntagsöffnung in den Städten einen besonderen Anlass, wie etwa ein Volksfest. Die formalen Hürden sind aber hoch. Oft werden genehmigte Sonntagsöffnungen durch Gerichte dann doch noch gekippt.
Digitale Minimärkte hingegen kommen an den Sonntagen inzwischen ganz ohne Personal aus und stören damit die Sonn- und Feiertagsruhe nicht unverhältnismäßig. Die digitalen Kleinstmärkte können insbesondere in den ländlichen Gegenden die Nahversorgung sichern und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beitragen. Aufgrund des verringerten Warenumsatzes ist bei digitalen Minimärkten die Öffnung an allen Sonntagen im Jahr entscheidend, damit sich diese Konzepte wirtschaftlich tragen. Wegen des zunehmenden Personalmangels werden digitale Vertriebswege weiter an Bedeutung gewinnen. In diversen Ladenöffnungsgesetzen der Länder wurde inzwischen eine klarstellende Regelung verabschiedet, um diesen neuartigen Vertriebskonzepten einen verlässlichen gesetzlichen Rahmen zu geben.
Die Herausforderung
Vitale Innenstädte für die Zukunft sichern
Die multiplen globalen Großkonflikte haben die Menschen verunsichert und drücken auf die Kauflaune. Darunter haben vor allem auch die Innenstädte zu leiden. Viele Händler kämpfen dort auch nach Corona weiter um ihre nackte wirtschaftliche Existenz. Mit gelegentlichen verlässlichen Sonntagsöffnungen könnten diese Händler in dieser schwierigen Lage versuchen, fehlende Umsätze zumindest teilweise zu kompensieren. Die Innenstädte verdienen eine faire Chance, Sonntagsöffnungen können dabei helfen.
Zeit zum Handeln
Es braucht mehr Verlässlichkeit für Sonntagsöffnungen
Mit Blick auf die in ganz Deutschland immer wieder kurzfristig von den Gerichten gekippten Genehmigungen für Sonntagsöffnungen in Innenstädten fordert die Branche bereits seit vielen Jahren endlich rechtssichere Lösungen für gelegentliche verlässliche Sonntagsöffnungen. Über die genaue Anzahl der Sonntagsöffnungen im Jahr haben die Länder zu entscheiden. Es geht darum, zukünftig das große Engagement und die finanziellen Investitionen der Händler vor einer bereits durch die Behörden genehmigten Sonntagsöffnung besser zu schützen. Die Händler bleiben zu oft auf den Kosten für geschaltete Werbung und ihr Personal sitzen. Das ist unfair und kann so nicht weitergehen. Notfalls wäre auch eine Grundgesetzänderung möglich, um eine bundesweite Klarstellung zu erhalten.
Die Innenstädte müssen an einigen Sonntagen im Jahr den Menschen vor Ort Events anbieten dürfen, bei denen dann auch eingekauft werden kann. Shopping ist heute für viele Menschen und Familien längst ein gemeinsames Event geworden. Dieses Bedürfnis der Kunden müssen die Händler durch verlässliche Sonntagsöffnungen bedienen können. Der Sonntag ist dafür geradezu ideal. Die Händler unterstützen dies dann oft mit tollen Begleitaktionen in den Innenstädten. Die Sonntagsöffnungen fördern damit die Attraktivität von Innenstadtkonzepten, sorgen für Umsatzsteigerungen im Einzelhandel und weiteren Branchen (z. B. Gastronomie) und sind damit ein wichtiger Baustein, um auch massenhaft Arbeitsplätze in den Innenstädten zukünftig abzusichern und den Ländern zusätzliche Steuereinnahmen zu bescheren. Das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Ausnahme-Regel- Prinzip bleibt dabei stets gewahrt.
Bemerkenswert ist, dass die Sonntagsöffnung im stationären Bereich in keinem anderen EU-Staat derart beschränkt ist wie in Deutschland. Die deutsche Sonderrolle ist für viele Menschen inzwischen nicht mehr nachvollziehbar. Und auch beim Personal ist die Sonntagsöffnung übrigens beliebt, das zeigt ein Blick in die Praxis der Unternehmen. So wird etwa die besondere Atmosphäre mit entspannten Kunden oft betont.
Steven Haarke
Geschäftsführer Arbeit, Bildung, Sozial- und Tarifpolitik
E-Mail: haarke@hde.de
Standort Stärken - Mittelstand - DKS
So sieht es aus
Mittelstand erhalten, Bürokratie abbauen
Der deutsche Einzelhandel steht aktuell vor erheblichen Herausforderungen. Laut dem HDE-Konsumbarometer vom November 2024 liegt der Indexwert bei 97,25 Punkten, was eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vormonat darstellt, jedoch weiterhin unter dem Basiswert von 100 Punkten aus dem Jahr 2017 liegt. Diese Zahlen spiegeln die anhaltende Kaufzurückhaltung der Verbraucher wider, die durch wirtschaftliche Unsicherheiten und steigende Lebenshaltungskosten verstärkt wird.
Zusätzlich belastet die zunehmende Bürokratie die Handelsunternehmen erheblich. Eine aktuelle Umfrage des HDE zeigt, dass 97 Prozent der befragten Handelsunternehmen in den letzten fünf Jahren einen Anstieg der bürokratischen Anforderungen verzeichnen, wobei fast zwei Drittel von einer deutlichen Erhöhung sprechen. Diese administrativen Hürden erschweren es insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren und notwendige Investitionen in die Digitalisierung vorzunehmen.
Der wirtschaftliche Abschwung in Deutschland verschärft die Situation zusätzlich. Im Oktober 2024 stieg die Zahl der Regelinsolvenzen um 22,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was auf die Kombination aus sinkender Nachfrage, hohen Energiekosten und steigenden Bürokratielasten zurückzuführen ist. Diese Entwicklungen gefährden die Existenz zahlreicher stationärer Händler und bedrohen Arbeitsplätze in erheblichem Umfang.
Um den Mittelstand zu erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit des stationären Handels zu sichern, sind dringende Maßnahmen erforderlich.
Die Herausforderung
Regeln bestehen, werden aber oft umgangen
Der deutsche mittelständische Handel kämpft 2024 mit mehreren Herausforderungen. Sinkende Konsumbereitschaft, ausgelöst durch wirtschaftliche Unsicherheiten und hohe Lebenshaltungskosten. Gleichzeitig behindern steigende Bürokratielasten die Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Händler. Laut HDE-Umfragen beklagen 97 Prozent der Unternehmen erhöhte administrative Anforderungen. Hinzu kommen hohe Energiekosten, die Wettbewerbsfähigkeit kosten, und fehlende Ressourcen, um notwendige Investitionen in Digitalisierung zu tätigen. Der wirtschaftliche Abschwung und steigende Insolvenzen verschärfen die Situation, bedrohen Existenzen und gefährden Arbeitsplätze.
Zeit zum Handeln
100 Millionen Euro für einen digitalisierten Handel und Bürokratieabbau
Der mittelständische Handel in Deutschland steht 2024 vor enormen Herausforderungen. Um die digitale Transformation voranzutreiben, Bürokratielasten zu senken und wirtschaftlichen Abschwung zu bewältigen, fordert der HDE gezielte Maßnahmen. Denn ein lebendiger Mittelstand sichert nicht nur Arbeitsplätze, sondern ist auch entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Lebensqualität in unseren Städten.
Ein zentraler Baustein ist ein Digitalisierungsfonds in Höhe von 100 Millionen Euro, der den Ausbau des Mittelstand Digitalzentrums Handel für flächendeckende Informationen über digitale Chancen, den Einsatz von Digitalisierungsberatern, die individuell geeignete Maßnahmen erarbeiten sowie finanzielle Förderung digitaler Projekte durch ein vereinfachtes Antragsverfahren beinhalten sollte. Viele Händler können die notwendigen Investitionen aktuell nicht selbst stemmen und brauchen staatliche Unterstützung.
Zusätzlich ist der Abbau bürokratischer Hürden entscheidend. Die Vereinfachung von Antrags- und Meldeverfahren ist notwendig, um den administrativen Aufwand zu reduzieren. Eine „Bürokratiebremse“ sollte eingeführt werden: Für jede neue Regelung sollte mindestens eine bestehende gestrichen oder vereinfacht werden. Genehmigungsprozesse für Förderprogramme und Investitionen müssen beschleunigt werden.
Um lebendige Innenstädte zu erhalten, sind ergänzend finanzielle und regulatorische Maßnahmen erforderlich, die Leerstände verhindern und die Attraktivität von Stadtzentren sichern.
Dara Kossok-Spieß
Referentin Netzpolitik und Digitalisierung
E-Mail: kossok-spiess@hde.de
Fachkräfte - Reform der Steuerklassen
So sieht es aus
Lohnsteuerklassen verhindern mehr Beschäftigung
Lohnsteuerklassen verhindern mehr Beschäftigung
Zurzeit wählen viele Paare, bei denen beide Partner arbeiten, die Kombination der Lohnsteuerklassen III und V. Denn diese Wahl ergibt in der Summe der Lohn- und Gehaltsabrechnungen beider Partner zusammen das insgesamt höchste Nettoeinkommen. Dies ist aber nur ein Liquiditätsvorteil. Bei der Wahl von Steuerklasse III und V ist eine Einkommensteuererklärung gesetzlich vorgeschrieben. Die daraus folgende Einkommensteuerveranlagung und das dabei zur Anwendung kommende Ehegattensplitting sorgt dafür, dass jede Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft mit gleich hohem Gesamteinkommen auch genau gleich hoch besteuert wird, unabhängig davon, wie viel die einzelnen Partner zum Gesamteinkommen beitragen und welche Steuerklasse sie wählen. Die Lohnsteuer ist damit nicht die finale Steuerlast, sondern eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuerschuld. Dabei muss aber der Zweitverdienende in Steuerklasse V zunächst eine überproportional hohe Lohnsteuer zahlen.
Nach aktuellen Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind im Einzelhandel rund 3,1 Millionen Menschen beschäftigt. Trotz dieser Rekordbeschäftigung mussten 2023 rund 120.000 zusätzliche offene Stellen unbesetzt blieben. Um diese Stellen besetzen zu können, bedarf es dringend besserer Arbeitsanreize für Zweitverdienende. Denn der Fachkräftemangel im Einzelhandel wird sich weiter verschärfen und die BA verzeichnet bereits seit 2017 in ihrer Ausbildungsmarktstatistik einen allgemeinen Bewerberrückgang.
Die Herausforderung
Der Zweitverdienende hat eine überproportional hohe Steuerlast
Der Zweitverdienende hat eine überproportional hohe Steuerlast
Bei der Kombination der Steuerklassen III und V hat der Zweitverdienende in Steuerklasse V eine überproportional hohe Steuerlast. Grund ist unter anderem, dass beide Grundfreibeträge und alle Kinderfreibeträge auf das (höhere) Einkommen in Steuerklasse III angerechnet werden. Als Folge entsteht für Zweitverdienende eine sehr hohe Grenz- und Durchschnittsbelastung. Zweitverdienende zahlen de facto bei den Lohnsteuerabzügen einen Teil der Steuer des Erstverdienenden. Dadurch liegt deren Steuerlast sogar über derjenigen, die sie bei einer Individualbesteuerung zu tragen hätten.
Zeit zum Handeln
Überführung der Steuerklassen III und V in IV mit Faktor
Überführung der Steuerklassen III und V in IV mit Faktor
Den Steuerpflichtigen ist üblicherweise nicht bekannt, welche ehe- bzw. partnerschaftsinternen Ausgleichszahlungen erforderlich wären, um die überhöhten Lohnsteuerabzüge des Zweitverdienenden auszugleichen. Als Folge erzielt der Zweitverdienende ein sehr geringes Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit. Dies kann bei ihnen den Eindruck erwecken, Arbeit und insbesondere Mehrarbeit lohne sich nicht. Somit setzt das aktuelle Lohnsteuersystem mit den Steuerklassen III und V negative Arbeitsanreize für Zweitverdienende.
Mit der Überführung der Steuerklassen III und V in Steuerklasse IV mit Faktor für Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner sollen die Lohnsteuerabzüge der (Ehe-)Partner auf ein Niveau gebracht werden, das ihrem jeweiligen Beitrag zum gesamten Einkommen der Ehepartner aus unselbständiger Arbeit entspricht. Da auch bei der Wahl von Steuerklasse IV mit Faktor eine Einkommensteuerveranlagung Pflicht sein soll und das Ehegattensplitting bleibt, führt der Wegfall der Steuerklassen III und V daher ausdrücklich nicht zu einer Steuererhöhung. Das Ehegattensplitting führt zudem auch weiter zur geringstmöglichen Gesamtbelastung des Paares.
Damit wäre eine deutliche Senkung der Lohnsteuer der Zweitverdienenden verbunden. Dies würde deren Arbeitsanreize spürbar erhöhen. Im Einzelhandel könnten so freie Stellen besetzt werden.
Ralph Brügelmann
Abteilungsleiter Steuern & Finanzen
E-Mail: bruegelmann@hde.de
Standort stärken - Mittelstand erhalten, Digitalisierung ermöglichen
So sieht es aus
Plattformökonomie: Wachstumsmotor mit Herausforderungen
Digitale Plattformen fördern Innovationen und eröffnen neue Marktchancen. Der rasante Aufstieg neuer E-Commerce-Plattformen hat die globale Handelslandschaft in den letzten Jahren nicht nur vorübergehend verändert, sondern eine langfristige Transformation angestoßen, die sich auch in Deutschland und Europa bemerkbar macht. Drittstaatenhändler bringen mit Social Commerce und Direct-to-Consumer-Vertriebswegen neue Handelspraktiken ein. Hierbei stechen vor allem die beiden Plattformen SHEIN und Temu mit Verbindungen nach China hervor. In Zahlen bedeutet das: 400.000 Pakete pro Tag von Shein und Temu nach Deutschland (siehe Drittstaatenstudie von ibi research und HDE). Die Bundesnetzagentur hat für das Jahr 2023 allerdings nur die Prüfung von rund 5.000 Warensendungen gemeldet. Von den geprüften Sendungen erhielten demnach 92 Prozent keine Freigabe.
Es ist unerlässlich, dass alle Marktteilnehmer, unabhängig von ihrem Ursprungsland, die gleichen hohen Standards der Europäischen Union einhalten. Dies betrifft insbesondere Produktsicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Anbieter aus Drittstaaten, insbesondere aus dem asiatischen Raum, diese Standards häufig nicht erfüllen. Ein Beispiel hierfür ist der Direktverkauf chinesischer Anbieter über Apps, Online- Shops und Social Media an Endkonsumenten im EU-Binnenmarkt. Laut Branchenexperten werden hierüber allein nach Deutschland über 100 Millionen Pakete pro Jahr versandt, Tendenz steigend.
Die Herausforderung
Regeln bestehen, werden aber oft umgangen
Regeln bestehen, werden aber oft umgangen
In den vergangenen Jahren sind die Pflichten für Einzelhändler mit Sitz in der EU kontinuierlich und in großem Umfang erhöht worden. An die Bereitstellung von Produkten in der EU werden mit dem Ziel der weiteren Erhöhung des Verbraucherschutzes sowie des Umwelt- und Ressourcenschutzes immer höhere Anforderungen gestellt. Gleichzeitig beobachten wir mit großer Sorge, dass der Binnenmarkt, u.a. über die genannten Plattformen,
mit Produkten überschwemmt wird, die diese Anforderungen zu einem großen Anteil nicht erfüllen und damit
den Verbraucherschutz unterlaufen. Es ist deshalb evident, dass es weniger an mehr Regelungen als an deren konsequenter Durchsetzung mangelt.
Zeit zum Handeln
Wettbewerb schützen, Regulierungen durchsetzen
Wettbewerb schützen, Regulierungen durchsetzen
Auf Ebene der Europäischen Union: Benennung eines verantwortlichen Wirtschaftsakteurs in der EU
Es bedarf einer gesetzlichen Verpflichtung zur Benennung eines in der EU niedergelassenen verantwortlichen Wirtschaftsakteurs mit klar definierten Anforderungen hinsichtlich seiner Eignung zur Erfüllung der Aufgaben. Zollunion priorisieren: Die Beschleunigung der Reform des EU-Zollkodex ist langfristig die entscheidende Stellschraube, um den wachsenden Herausforderungen des internationalen Handels wirksam begegnen zu können. Das für den vollständigen Abschluss der Arbeiten vorgesehene Jahr 2034 ist zu spät. Die Modernisierung der Zollvorschriften sind entscheidend, um die EU-Zollbehörden zu entlasten, die Effizienz der Zollkontrollen zu erhöhen, Produktsicherheits-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards in der EU einzuhalten und Manipulationen, wie etwa Unterdeklarationen, konsequenter zu verhindern.
Auf Bundesebene: 150 Euro Zollfreigrenze abschaffen
Angesichts der systematischen Unterdeklarierung von Waren aus Drittstaaten fordert der HDE die Abschaffung der Zollfreigrenze von 150 Euro. Diese Regelung trägt erheblich zu Gestaltung bei und beeinträchtigt faire Wettbewerbsbedingungen in der EU. Die Freigrenze wird systematisch ausgenutzt, um den Warenwert von Sendungen gezielt unter den Schwellenwert zu deklarieren und so Zollabgaben zu umgehen.
Auf Länderebene: Digitalisierung und Stärkung der Marktüberwachungsbehörden
Das Hauptproblem liegt nicht in fehlenden Vorschriften, sondern in deren unzureichender Umsetzung. Deshalb sind verstärkte Maßnahmen zur Digitalisierung und Stärkung des Zolls erforderlich. Die Marktüberwachungsbehörden benötigen mehr Personal und ganzheitliche sowie moderne digitale Systeme. Die Marktüberwachungsbehörden der Bundesländer spielen eine Schlüsselrolle bei der Sicherstellung von Produktsicherheit, Verbraucherschutz und fairen Wettbewerbsbedingungen. Deshalb ist es essenziell, dass die Bundesländer ihre Zuständigkeiten in diesem Bereich aktiv wahrnehmen und ihre Marktüberwachungsstrukturen nachhaltig stärken. Die Bundesländer haben hier die Verantwortung und die Möglichkeit, durch personelle und technische Aufstockung ihrer Marktüberwachungsbehörden die Einhaltung der geltenden Vorschriften sicherzustellen. Die Wahrnehmung dieser Kompetenzen ist nicht nur ein entscheidender Beitrag zur Stärkung des Binnenmarktes, sondern auch ein klares Signal, dass die Interessen von Verbrauchern und Händlern in der Region konsequent geschützt werden.
Dara Kossok-Spieß
Referentin Netzpolitik und Digitalisierung
E-Mail: kossok-spiess@hde.de
Innovativ Handeln - Mittelstand - DKS
So sieht es aus
Mittelstand erhalten, Bürokratie abbauen
Der deutsche Einzelhandel steht aktuell vor erheblichen Herausforderungen. Laut dem HDE-Konsumbarometer vom November 2024 liegt der Indexwert bei 97,25 Punkten, was eine leichte Verbesserung gegenüber dem Vormonat darstellt, jedoch weiterhin unter dem Basiswert von 100 Punkten aus dem Jahr 2017 liegt. Diese Zahlen spiegeln die anhaltende Kaufzurückhaltung der Verbraucher wider, die durch wirtschaftliche Unsicherheiten und steigende Lebenshaltungskosten verstärkt wird.
Zusätzlich belastet die zunehmende Bürokratie die Handelsunternehmen erheblich. Eine aktuelle Umfrage des HDE zeigt, dass 97 Prozent der befragten Handelsunternehmen in den letzten fünf Jahren einen Anstieg der bürokratischen Anforderungen verzeichnen, wobei fast zwei Drittel von einer deutlichen Erhöhung sprechen. Diese administrativen Hürden erschweren es insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen, flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren und notwendige Investitionen in die Digitalisierung vorzunehmen.
Der wirtschaftliche Abschwung in Deutschland verschärft die Situation zusätzlich. Im Oktober 2024 stieg die Zahl der Regelinsolvenzen um 22,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was auf die Kombination aus sinkender Nachfrage, hohen Energiekosten und steigenden Bürokratielasten zurückzuführen ist. Diese Entwicklungen gefährden die Existenz zahlreicher stationärer Händler und bedrohen Arbeitsplätze in erheblichem Umfang.
Um den Mittelstand zu erhalten und die Wettbewerbsfähigkeit des stationären Handels zu sichern, sind dringende Maßnahmen erforderlich.
Die Herausforderung
Regeln bestehen, werden aber oft umgangen
Der deutsche mittelständische Handel kämpft 2024 mit mehreren Herausforderungen. Sinkende Konsumbereitschaft, ausgelöst durch wirtschaftliche Unsicherheiten und hohe Lebenshaltungskosten. Gleichzeitig behindern steigende Bürokratielasten die Flexibilität und Innovationsfähigkeit der Händler. Laut HDE-Umfragen beklagen 97 Prozent der Unternehmen erhöhte administrative Anforderungen. Hinzu kommen hohe Energiekosten, die Wettbewerbsfähigkeit kosten, und fehlende Ressourcen, um notwendige Investitionen in Digitalisierung zu tätigen. Der wirtschaftliche Abschwung und steigende Insolvenzen verschärfen die Situation, bedrohen Existenzen und gefährden Arbeitsplätze.
Zeit zum Handeln
100 Millionen Euro für einen digitalisierten Handel und Bürokratieabbau
Der mittelständische Handel in Deutschland steht 2024 vor enormen Herausforderungen. Um die digitale Transformation voranzutreiben, Bürokratielasten zu senken und wirtschaftlichen Abschwung zu bewältigen, fordert der HDE gezielte Maßnahmen. Denn ein lebendiger Mittelstand sichert nicht nur Arbeitsplätze, sondern ist auch entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Lebensqualität in unseren Städten.
Ein zentraler Baustein ist ein Digitalisierungsfonds in Höhe von 100 Millionen Euro, der den Ausbau des Mittelstand Digitalzentrums Handel für flächendeckende Informationen über digitale Chancen, den Einsatz von Digitalisierungsberatern, die individuell geeignete Maßnahmen erarbeiten sowie finanzielle Förderung digitaler Projekte durch ein vereinfachtes Antragsverfahren beinhalten sollte. Viele Händler können die notwendigen Investitionen aktuell nicht selbst stemmen und brauchen staatliche Unterstützung.
Zusätzlich ist der Abbau bürokratischer Hürden entscheidend. Die Vereinfachung von Antrags- und Meldeverfahren ist notwendig, um den administrativen Aufwand zu reduzieren. Eine „Bürokratiebremse“ sollte eingeführt werden: Für jede neue Regelung sollte mindestens eine bestehende gestrichen oder vereinfacht werden. Genehmigungsprozesse für Förderprogramme und Investitionen müssen beschleunigt werden.
Um lebendige Innenstädte zu erhalten, sind ergänzend finanzielle und regulatorische Maßnahmen erforderlich, die Leerstände verhindern und die Attraktivität von Stadtzentren sichern.
Dara Kossok-Spieß
Referentin Netzpolitik und Digitalisierung
E-Mail: kossok-spiess@hde.de
Was sagen die Händler?
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Innenstädte - Funktionsmischung in Innenstädten
So sieht es aus
Die Multifunktionalität der Innenstädte wird behindert
Innenstädte waren immer Orte der Begegnung, des Handels, der Kultur, der Verwaltung des Wohnens etc.. Kurz: Gebiete mit hoher funktionaler Durchmischung. Im Zuge der baurechtlichen Festschreibung der meisten Innenstädte als „Kerngebiet“, dienen diese vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Andere Funktionen sind nur ausnahmsweise in den Innenstädten zugelassen. Der strukturelle Wandel infolge der Digitalisierung erfordert jedoch eine grundlegende Metamorphose, die das Nebeneinander der unterschiedlichen Akteure wieder zulässt.
Die Herausforderung
Die Gemengelage als typischen Charakter etablieren
Die hohen Mietpreise in den 1a-Lagen haben vielfach dazu geführt, dass häufig nur der Handel in der Lage war, diese hohen Mieten zu zahlen. Infolge der Umsatzverschiebungen in den Online-Handel sowie den Folgen der Corona- Krise wird der Handel in vielen Innenstädten nicht mehr in der Lage sein, diese hohen Mieten wirtschaftlich rentabel erarbeiten zu können.
In der Folge müssen an etlichen Standorten die Mieten nach unten korrigiert werden. Die zunehmenden Leerstände setzen die Eigentümer diesbezüglich unter Druck. Es ergibt sich jedoch auch die Chance, wieder „neue Nachbarn“ im Umfeld des Handels begrüßen zu können. Bei guter Planung können Synergien in Zusammenarbeit mit dem Handel und eine erhöhte Lebendigkeit entstehen. Die verbesserte Mischung erfordert aber gleichzeitig den Respekt und die Akzeptanz der Bedürfnisse der anderen Innenstadtakteure. Daher muss die Gemengelage zum typischen Charakter der Innenstädte werden.
Zeit zum Handeln
TA-Lärm sowie BauNVO bedarfsgerecht anpassen
Die funktionsgemischte Innenstadt ist das Leitmotiv vieler Festschriften zur mitteleuropäischen Innenstadt. Diese Funktionsmischung wird üblicherweise als Garant für den jahrhundertelangen Erfolg unserer Innenstädte lobend herausgestellt.
In der Realität wird diese Idealvorstellung einer Innenstadt aber vielfach durch Verordnungen und bestehendes Recht ausgebremst. Zu nennen sind hier zum einen die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA-Lärm) sowie die Baunutzungsverordnung (BauNVO), die Nutzungsmischung und dichte Nachbarschaft in den Innenstädten verhindert.
Diese Nutzungsmischung in dichter Innenstadtnachbarschaft wird jedoch ein Schlüssel zur dauerhaften Lebendigkeit unserer Innenstädte sein. In etlichen Innenstädten werden sich die Handelslagen durch sinkende Frequenzen derart verschieben, dass eine wirtschaftlich tragfähige Nachnutzung durch den Handel an
diesen ehemaligen Handelslagen nicht sinnvoll erscheint. Es wird in den Kommunen zur Konzentration von Geschäftsstraßen kommen. An diesen Standorten gilt es dennoch die ehemaligen Handelsflächen mit angepassten und sinnvollen neuen Nutzungen zu füllen, die das „Erlebnis Innenstadt“ auch für die verbleibenden Geschäfte positiv beeinflussen. Dazu sind insbesondere gastronomische Nutzungen sowie das Ladenhandwerk zur Abrundung des Innenstadtangebotes geeignet. Eine Ansiedlung derartiger Betriebe darf nicht durch gesetzliche Vorgaben wie z.B. den Immissionsschutz verhindert werden.
Um den Kommunen das Bauen in Innenstädten jedoch tatsächlich zu erleichtern und bestehende Konflikte zu verringern, benötigen Unternehmen darüber hinaus mehr Flexibilität. Um Lieferverkehr, Veranstaltungen oder Produktionsprozesse nicht zu stark einzuschränken, sollten Unternehmen mehr Spielraum für zeitlich begrenzte Ausnahmen oder Spitzenzeiten der Lärmemission erhalten. Die Messmethoden sind so zu überarbeiten, dass die Messungen vor dem „schutzbedürftigen Raum“ stattfinden, um auch passive Schallschutzmaßahmen überhaupt sinnvoll umsetzbar zu machen. Zudem sind die Vorgaben für Gewerbelärm an den Verkehrslärmschutz anzupassen. Dabei müssen die wirtschaftlichen Funktionen in der Prioritätenliste immer oben stehen, da hiermit die hohe Anziehungskraft in ein weites Einzugsgebiet verbunden ist. Das Wohnen wiederum hat kein Einzugsgebiet und sorgt nicht für tagtägliche Frequenzen von außerhalb, so dass die Heilungswirkung für die Innenstädte nur eingeschränkt ist. Daher muss das Wohnen sich auch bei einer besseren Durchmischung dem innerstädtischen Gewerbe unterordnen, so dass die Lärmwerte in Kerngebieten nach den Empfehlungen der Bauministerkonferenz aus dem Jahr 2020 um 10db(A) auf 55 db(A) erhöht werden müssen.
Vielmehr muss die gewünschte funktionale Durchmischung sich auch in den Bestimmungen des für die Innenstädte typischen Baugebiets, dem sogenannten „Kerngebiet“, gemäß Baunutzungsverordnung (BauNVO) widerspiegeln. Die Gemengelage sollte im Sinne der Funktionsmischung die typische Situation einer Innenstadt darstellen.
Michael Reink
Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik
E-Mail: reink@hde.de
Was sagen die Händler?
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Neustart
Welche konkreten Maßnahmen werden Sie umsetzen, um den von der Coronakrise gebeutelten Handel zu unterstützen, seine Geschäftsmodelle neu und nachhaltiger aufzustellen?
Viele Handelsunternehmen, darunter auch viele kleine und mittlere, haben bereits umfangreich in Digitalisierung investiert. Trotzdem bleiben der Investitionsbedarf und die Digitalisierungs- und Innovationsanforderungen weiter hoch. Durch Investitionszuschüsse, mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote und steuerliche Regelungen, die Investitionen in Digitalisierung zusätzlich fördern, wollen wir GRÜNE Unternehmen bei Digitalisierungsherausforderungen auch weiterhin unterstützen. Dafür wollen wir die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren finanziell und personell ausbauen, damit sie bundesweit den Unternehmen mit kompetenter Beratung besser zur Seite stehen können und die Investitionsförderung für KMUs entlang des Programmes „Digital Jetzt“ beschleunigen, vereinfachen und aufstocken.
Nachhaltigkeit
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die EEG-Umlage kein wirkungsvolles Instrument zur CO2-Vermeidung ist. Wie stehen Sie zu der Forderung, die EEG-Umlage abzuschaffen und durch ein marktwirtschaftliches Modell ersetzen, das auf einem europäischen und nationalen CO2-Preis basiert?
Wir GRÜNE wollen die Klimaziele mit einem zielgerichteten Mix verschiedener Instrumente erreichen, der eine richtige Lenkungswirkung entfaltet und gleichzeitig sozial ausgewogen ist. Die CO2-Bepreisung ist dabei ein Element neben notwendigen Anreizen sowie ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Dabei wollen wir den CO2-Preis wirksam einsetzen. Allerdings würde der Versuch, Klimaziele allein mit der CO2-Bepreisung zu erreichen, zu großen sozialen Zerwürfnissen führen. Daher ist ein Instrumentenmix notwendig. Mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis wollen wir neben der Zahlung eines Energiegeldes an die Bürger*innen auch die EEG-Umlage senken. Mit der Senkung der EEG-Umlage sorgen wir für faire und bezahlbare Strompreise. Mit diesen Maßnahmen wollen wir den Klimaschutz sozial gerecht gestalten.
Bald kommt ein europäisches Sorgfaltspflichtengesetz. Werden Sie sich für eine „sunset clause“ einsetzen, um einzelstaatliche Regelungen zugunsten einer europäisch harmonisierten Regelung abzuschaffen und damit gleiche Wettbewerbsbedingungen für deutsche Handelsunternehmen sicherzustellen?
Verabschiedet die EU eine Verordnung oder eine Richtlinie über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten, muss das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz aufgrund von EU-Recht auf den Prüfstand. Der aktuelle Gesetzesentwurf der Bundesregierung verpflichtet die Bundesregierung in diesem Falle dazu, das deutsche Gesetz bereits nach sechs Monaten zu evaluieren, anzupassen und gegebenenfalls nach zu schärfen, um es mit der EU-Verordnung oder Richtlinie in Einklang zu bringen sowie dazu ein Level Playing Field sicherzustellen. Das angepasste deutsche Sorgfaltspflichtengesetz bietet somit auch im Falle einer europäischen Richtlinie oder Verordnung ein notwendiges Umsetzungsinstrumentarium (und bedarf daher keiner Sunset Clause).
Innenstädte
Infolge der Digitalisierung sind unsere Innenstädte grundlegenden Veränderungen unterworfen. Damit sie auch künftig lebenswert sind, muss das Nebeneinander unterschiedlicher Stadtakteure wieder möglich sein. Wie werden Sie die funktionale Durchmischung der Innenstädte stärken?
Innenstädte und Ortskerne, die das Herz einer jeden Stadt sind, befinden sich in der Krise. Einzelhändler*innen, kulturelle und soziale Einrichtungen kämpfen aufgrund steigender Mietkosten, Onlinekonkurrenz und der Corona-Pandemie um ihre Existenz. Um unsere Innenstädte und Ortskerne zu retten, fordern wir GRÜNE ein Gewerbemietrecht, das kleinere Geschäfte sowie soziale und kulturelle Einrichtungen vor Verdrängung schützt. Wir brauchen einen Städtebaunotfallfonds in Höhe von 500 Millionen Euro im Jahr für Kommunen, um Leerstand beleben und Schlüsselimmobilien erwerben zu können. Wir setzen mit Fuß- und Radverkehr und kühlenden Grünflächen auf Aufenthaltsqualität in Innenstädten und Ortskernen. Wir brauchen eine Digitalisierungsoffensive für den lokalen Handel und bezahlbaren Wohnraum in unseren Innenstädten und Ortskernen, mit einem Bundesprogramm Neue Wohngemeinnützigkeit für eine Million neue günstige Mietwohnungen. Wir wollen Kommunen entschulden und ihre Handlungsspielräume erweitern.
Digitalisierung
Viele kleine und mittelständische Handelsunternehmen sind in Folge des Lockdowns finanziell ausgezehrt und können notwendige Investitionen, etwa in die Digitalisierung, nicht aus eigener Kraft stemmen. Wie werden Sie den Handel dabei unterstützen, den Strukturwandel zu bewältigen?
Bei vielen kleinen und mittleren Unternehmen und Selbständigen ist nach Monaten der Krise die Eigenkapitalbasis gefährlich ausgezehrt. Der Eigenkapitalzuschuss in den Überbrückungshilfen des Bundes ist hier nur ein erster Schritt, den wir GRÜNE ausbauen wollen. Darüber hinaus wollen wir es den Unternehmen ermöglichen, ihre Corona-Verluste mit den Gewinnen der letzten 4 Jahre (derzeit ist dieser Verlustrücktrag auf 1 Jahr begrenzt) zu verrechnen. Diese Unternehmen erhalten dann die in den Vorjahren gezahlten Steuern erstattet. Das hilft vor allem KMU, die z.B. wegen Schließungen sehr hohe Verluste hatten beim Neustart. Außerdem profitieren sie, wie andere Unternehmen auch, von unseren verbesserten Abschreibungsbedingungen für Investitionen z.B. in Digitalisierung.
Wettbewerb
Deutschland verfügt bereits über ein im europäischen Vergleich hohes Verbraucherschutzniveau, das für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Konsumenten und der Wirtschaft sorgt. Halten Sie vor diesem Hintergrund weitere Regulierungen zum Schutz der Verbraucher für erforderlich?
Wir GRÜNE begrüßen es, dass Verbraucher*innenschutz in Deutschland einen hohen Stellenwert hat. Markt und Wettbewerb leben in hohem Maße auch vom Vertrauen der Verbraucher*innen und von Transparenz. Daher werden wir uns weiter für einen funktionierenden Verbraucher*innenschutz inklusive verlässlicher und verständlicher Verbraucher*inneninformationen einsetzen. Handlungsbedarf für mehr Transparenz sehen wir beispielsweise bei der Lebensmittelkennzeichnung. Viele Handelsunternehmen haben bereits eine Tierhaltungskennzeichnung eingeführt; wir wollen eine solche Kennzeichnung gesetzlich verbindlich regeln. Ebenso wollen wir den Nutri-Score auf EU-Ebene gesetzlich verankern, damit er künftig auf allen Fertiglebensmitteln Orientierung über den Nährwert gibt. Im Online-Handel wollen wir den Verbraucher*innenschutz stärken, indem wir Online-Marktplätze, über die viele Produkte aus Drittstaaten auf den europäischen Markt kommen, mithilfe von Sorgfaltspflichten stärker in die Verantwortung für Produktsicherheit und Fälschungsschutz nehmen.
Beschäftigung
Die deutsche Sozialpartnerschaft ist ein Erfolgsmodell und hat sich auch in Krisenzeiten bewährt. Dennoch hat der Gesetzgeber zuletzt immer stärker in die Tarifautonomie eingegriffen. Wie werden Sie die Gestaltungsfreiheit für die Sozialpartner fördern und die Tarifautonomie stärken?
Wir GRÜNE teilen die Einschätzung, dass die Sozialpartnerschaft ein hohes Gut ist und sich gerade in Krisenzeiten bewährt hat. Allerdings müssen wir feststellen, dass deren Funktionsfähigkeit bedroht ist. Immer weniger Unternehmen sind in Tarifverbänden organisiert. Die Gewerkschaftsmitgliedschaft ist in der Summe ebenfalls rückläufig. Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe und tariflichen Jobs haben neue Negativrekorde erreicht. Diese Entwicklung ist nicht nur eine Gefahr für die Krisenresilienz unserer Volkswirtschaft, sondern vertieft auch die Spaltung auf dem Arbeitsmarkt und bedroht den Zusammenhalt der Gesellschaft. Deshalb müssen wir die Tarifbindung wieder stärken und prekäre Beschäftigung eindämmen.








